SONNE, MOND UND STERNE

Kurdwin Ayub ist der neue Shootingstar der österreichischen Filmbranche. Die irakisch-österreichische Filmemacherin, Drehbuchautorin und studierte Malerin möchte mit ihren Filmen Klischees aufbrechen, provozieren und überraschen. In ihrem neuesten Film „Sonne“ geht es um die Identitätssuche einer jungen Muslima in Zeiten von Social Media und Political Correctness.

Dass sie aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Jugend in Simmering und ihrer Religion eine politische Figur ist, findet Kurdwin Ayub nachvollziehbar. Aber immer nur „die Ausländer­künstlerin“ zu sein, hat sie satt. Ihr preisgekrönter Film „Sonne“ ist ihr erster (langer) Spielfilm und ein Herzens­projekt der 32-Jährigen, bei dem sie die „typische Migrationsgeschichte“ anders erzählen möchte: drei Teenager, die im Hidschab ein Video zu „Losing My Religion“ drehen und damit einen Hit im Internet landen, so die knappe Zu­sammen­fassung. „Selten hat man so einen unge­filterten Einblick in ein Milieu bekommen“, schreiben Medien wie die Kleine Zeitung – und meinen das der ­Filmemacherin selbst.

Kann Filmemachen heilend sein? Nutzen Filmemacher ihre Arbeit zur Eigentherapie?
Ich kann nicht sagen, ob ich mich selbst damit heilen kann, aber ich kann Beziehungen heilen, die ich mit jemandem habe. Beispielsweise habe ich eine ganz schwierige Beziehung zu meinem Vater gehabt, als ich ein Teenager war. Wir sind 1991 aus dem Irak geflohen, hatten eine unsichere Vergangenheit hier, waren finanziell instabil und mein ­Vater war noch in seiner alten Mentalität ­gefangen. Ich musste als junge Frau ausbrechen. Ich wollte Kunst und verrücktes Zeug machen und heraus­finden, wer ich bin. Als junge Frau hatte ich wenig Selbstbewusstsein, deshalb musste ich umso provokanter damit umgehen. Ich habe meinen Vater neu kennengelernt, als ich den Dokumentarfilm „Paradies! Paradies!“ gedreht habe, weil der Film von ihm handelte und ich dafür ­immer wieder mit ihm in den Irak fliegen musste. Zu dem Zeitpunkt herrschte Krieg mit dem IS – ich habe dann herausgefunden, dass er in seiner Familie so ist wie ich in meiner: ein Rebell. So sind wir Freunde geworden.

Ist das Filmemachen Ihre ­Berufung?
Ja. Ich glaube, ich hätte nichts anderes machen können. Allerdings wäre ich auch gerne Physikerin geworden; ich interessiere mich auch für Wissenschaft. Fakt ist aber, dass ich das Filmemachen richtig gut kann. Wenn man irgendwie checkt, dass man etwas gut macht, dann erübrigt sich die Frage.

Ihr neuester Film „Sonne“ wechselt zwischen Tragik und Komik. ­Welches Genre ist Ihr bevorzugtes?
Ich glaube, es gibt kein Genre, wo ich so richtig reinpasse. Ich mag Horror, aber ich glaube nicht, dass ich echte Horrorfilme machen ­möchte. Ich mache eher realistische Filme. Meistens sind sie oberflächlich sehr lustig, aber haben dann doch eine gewisse Tiefe. Viele fragen mich, ob ich eine politische Intention habe. Lustiger­weise passiert es unbewusst, dass ­meine ­Filme politisch sind, auch weil ich eine politische Figur bin – durch meine Flucht, meine Jugend in Simmering et cetera. Das sind nun mal die Themen, die mich un­bewusst beschäftigen.

In der Medienberichterstattung spielt Ihre Herkunft oftmals eine zentrale Rolle. Ist das in dieser Form gerechtfertigt?
Ja. Ich spiele bei meinen Filmen ja auch mit Herkunft. Andererseits, wenn ich dazu befragt werde, geht es dann meistens eher darum als um meine filmischen Talente. Aber das habe ich mir auch unbewusst so ausgesucht. Ich könnte ja auch Filme machen, die nicht von meiner Herkunft oder der Herkunft anderer Menschen handeln.

Was bedeutet Identität für Sie?
Als ich ein Teenager war, habe ich immer geglaubt, dass ich ­so bin wie meine österreichischen Freundinnen, ich habe nicht wirklich da­rüber nachgedacht. Ich hatte dieselben Probleme wie meine Freunde, ich war verknallt, ich habe mich als Loser ­gefühlt. Und dann bin ich mit 18 – als ich einen Freund hatte – draufgekommen, dass mich die anderen Leute anders sehen, dass sie mich mit anderen Augen ­betrachten. Das war eine interessante Erkenntnis. Daraufhin habe ich mich damit beschäftigt, woher ich eigentlich komme. Jahre später habe ich erkannt, dass es sehr wichtig ist, herauszu­finden, wer man ist. Aber im Grunde kann man sagen: Im Nachhinein ist es gar nicht so wichtig, weil wir ja alle gleich in ­unseren Bedürfnissen sind.

Wie viel Persönliches steckt in „Sonne“? Es spielen ja auch Ihre ­Eltern mit …
Ich würde sagen, nicht viel. Natürlich gibt es Szenen, die meiner Jugend ähnlich sind, zum ­Beispiel eine der letzten Szenen, wo die Hauptdarstellerin Yesmin von ihren ­Eltern abgeholt wird und aus dem Auto erbricht. Das ist wirklich so passiert, was absurd ist, weil der Film von einer Kurdin handelt, die herausfinden will, wer sie ist und wer nicht, und das ­einzig Bio­grafische ist die blödeste ­Szene. Ansonsten würde ich sagen, dass das Gefühl, das sie hat, die Emotion, die rüber­gebracht wird, biografisch ist, aber sonst ist die Geschichte fiktional. Meine Eltern ­spielen gar nicht sich selbst; nur die Szene, wo meine Mutter über ihre Kriegs­vergangenheit und ihr Fluchttrauma redet, das ist schon sie.

Worauf sind Sie bei Ihrem Film besonders stolz? Gibt es Szenen, die Sie heute anders angehen würden?
Man hat immer ein Drehbuch und ich habe versucht, das Beste aus diesem Buch herauszuholen – ­logisch, dramaturgisch und so weiter. Wir haben alle unser Bestes versucht. Ich glaube nicht, dass wir es besser hätten machen können. Alles andere wäre eine andere Geschichte gewesen. Es ist ­alles ziemlich gut gelaufen, sogar die ­Corona-Unterbrechung – wir mussten Anfang März 2020 nach zehn Dreh­tagen ab­brechen! – haben wir genutzt, um ­herauszufinden, was wir besser ­machen können.

Wann entstand die Idee zu ­„Sonne“?
Die Idee kam mir vor fünf, sechs Jahren. Mit dem Dreh haben wir Anfang 2020 begonnen und dann im September 2020 weitergedreht. Ich habe chronologisch gedreht, was im Film sehr selten vorkommt. Ich hatte nicht so viele Drehtage, das liegt vielleicht daran, dass ich die Dar­steller ­improvisieren lasse. Es gibt keine Dialoge, sondern Aufgaben und Szenen, die sie erfüllen müssen. Ich caste die Menschen auch so, dass sie das können. Schon bei den Castings be­kommen sie Aufgaben, die sie erfüllen müssen; da sehe ich, ob sie vor der Kamera schlagfertig sind. Außerdem kenne ich die Menschen, mit denen ich arbeite, meistens schon. Ich arbeite mit ihnen über Jahre hinweg, damit ein gegen­seitiges Vertrauen entsteht.

In „Sonne“ spielt neben ­Themen wie Ideologisierung, den sozialen ­Medien, Identität und Herkunft auch die Reli­gion eine Rolle. Sind Sie ­religiös?
Genauso wie ganz viele mit Kirche und Taufe aufgewachsen sind, bin ich mit dem Islam aufgewachsen, deshalb ist das auch mein Hintergrund. Das bedeutet nicht, dass meine Eltern streng religiös sind, vielmehr komme ich aus einer großen Familie, die streng religiös ist. Religionen generell haben mich immer sehr fasziniert – zu verstehen, wie man glaubt. Ich wünsche mir sogar manchmal, ich würde noch glauben, weil die Angst vor dem Leben dann vielleicht geringer wäre. Den Glauben kann man sich nicht zurückholen, wenn er einmal weg ist, das ist interessant: Man kann Dinge neu kaufen, man kann arbeiten für etwas, aber den Glauben kann man nicht wiederbekommen, wenn er einmal verloren ist.

Wie ist die Resonanz zum Film – generell, aber auch speziell in Ihrer Familie und in der kurdischen ­Community?
Bevor ich den Film fertiggestellt habe, habe ich ihn vielen ­Frauen gezeigt, die denselben Background ­haben wie ich. Und die sagten, er sei genau so, wie sie aufgewachsen sind, und das ist das schönste Kompliment. Auch im Nachhinein, als ich Kino­screenings hatte, kamen junge Frauen auf mich zu, die viel jünger ­waren als ich, die das ­genauso sahen. Das Lustigste sind die älteren Hipster im Kino, die im Anschluss alle immer so erstaunt sind. Das ist faszi­nierend, weil sie diese Menschen und dieses Milieu nicht kennen, obwohl sie alle so links­liberal sind. Richtig negatives Feedback habe ich aber nicht bekommen. ­Natürlich gibt es Leute, die den Trailer gesehen haben und dann schreiben: „Schämt euch, ihr beleidigt den Islam!“ Dann denke ich mir: Hättet ihr den Film ge­sehen, würdet ihr wissen, dass das Gegenteil der Fall ist.

„Sonne“ ist Ihr erster Streifen in Spielfilmlänge. Davor haben Sie vor allem Dokus gedreht. Wechseln Sie das Genre endgültig?
Das weiß ich noch nicht. Ich bin am Anfang, ich will jetzt noch mehr Spielfilme drehen, aber ob ich jetzt nie wieder eine Doku drehen ­werde, kann ich heute nicht sagen.

Was steht als Nächstes an?
Das nächste Projekt ist „Mond“: Die Geschichte handelt von ­einer österreichischen Kampf­sportlerin, die Personal Trainer für eine reiche arabische Familie wird. Wir sind in Jordanien und casten schon die Schau­spieler; das ist ziemlich cool, ich mag Jordanien sehr gern. „Mond“ wird wieder sehr realistisch, aber diesmal gibt es Horror- und ­Action-Elemente. Wenn alles gut geht, drehen wir nächstes Jahr im Frühling und erscheinen dann vielleicht im ­Sommer 2024.

Woher kommt diese Sonne-Mond-Geschichte?
Die Sonne ist ja auf der kurdischen Flagge, und ich wollte in Wahrheit eine Filmtrilogie schaffen: Sonne, Mond und Sterne. Die Trilogie soll Themen wie Hassliebe, Klischees und Vorurteile behandeln. Das soll alles einmal vorkommen – in genau dieser Reihenfolge.

Wie gehen Sie ökonomisch an die Marke Kurdwin Ayub heran?
Für die Marke ­Kurdwin Ayub gibt es keine großen öko­nomischen Ziele. Ich habe schon so einen Kalender, wo festgehalten ist, was dieses, nächstes und übernächstes Jahr ansteht; man muss schon sehr strukturiert und organisiert sein, dass das alles gut geht. Nach dem Erfolg von „Sonne“ habe ich herausgefunden, dass es für mich leichter geworden ist, mir Dinge aus­zu­suchen. Auch der Preis für den besten Erstlingsfilm der Berlinale gibt mir einen Vorsprung für den nächsten Film und die Finanzierung. Und er hat mir sehr viel Öffentlichkeit gegeben: Leute kommen auf mich zu, sie wollen, dass ich Projekte mit ihnen mache, was dazu geführt hat, dass ich finanziell jetzt wirklich vom Filmemachen leben kann.

Kurdwin Ayub wurde 1990 im Irak geboren. Sie lebt und arbeitet als Regisseurin und Drehbuchautorin in Wien. Von 2008 bis 2013 studierte sie Malerei und experimentellen Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst, parallel dazu performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

Man handelt Sie heute als Shooting­star der österreichischen Film­industrie. Sind Sie mit 32 dort, wo Sie hin­wollten?
Ich würde sagen, es ist so, wie ich es mir erhofft hatte, aber ich habe auch viel dafür gemacht. Es ist jetzt nicht überraschend. Sehr überraschend war, als ich damals mit 21 von Hans Hurch, dem damaligen Direktor der Viennale, für einen meiner Kurz­filme für die Viennale ausgewählt wurde. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich mit meinen Sachen auffalle. Seitdem habe ich mich mehr ins Zeug gelegt. ­Davor habe ich mich nur als Kunst­studentin gefühlt, die sich aus­probieren und experimentieren muss. Als mein erster Film dann auf der Viennale lief, gab mir das aber richtig Antrieb.

Fotos: Mirza Dzudzic

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