Stark durch Krisen

Investment-Expertin Romy Schnelle verrät im Gespräch mit Forbes, warum manche Start-ups den Durchbruch schaffen, aber andere floppen – und weshalb künstliche Intelligenz ihr graue Haare wachsen lässt.

Romy Schnelle kennt sich mit Krisen aus. Als die Finanzmärkte 2008 nach der Lehman-Pleite verrücktspielten, startete sie beim deutschen High-Tech Gründerfonds (HTGF). Drei Jahre zuvor hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder diesen Fonds initiiert, um Deutschlands Platz an der internationalen Spitze der Industrieländer zu sichern. Mit­t­lerweile hat der HTGF vier Fonds aufgelegt und damit 700 Unternehmen finanziert, von denen mehr als 170 erfolgreich an die Börse gingen oder verkauft wurden. Schnelle ist an vielen dieser Erfolge beteiligt; im Mai 2023 wurde sie Geschäftsführerin des HTGF, der inzwischen einer der grössten Frühphasen­finanzierer in Europa ist. „Die Erfahrungen von 2008 wiederholen sich jetzt, weil die Probleme ähnlich sind“, stellt sie im Gespräch mit Forbes klar.

Krisen bieten laut Schnelle viele Chancen: „Wir kennen die Ups and Downs der Märkte, aber auch der Start-ups.“ Wenn ­Krisen kommen, heisse es, durchzuhalten; das Rezept sei immer das gleiche: Cash zusammenhalten, die Nachfrage für das Produkt genau hinter­fragen, sich auf die wesent­lichen Werttreiber im Wachstum kon­zentrieren, Schlüsselmitarbeitende finden und binden sowie aus­reichend Liquiditätsreichweite schaffen. Schnelle: „Die Investments, die wir in Krisen gemacht haben, konnten wir später sehr gut verkaufen. Für Investoren bieten sich jetzt grosse Chancen.“

Schnelle verantwortet mit ihrem Team aktuell rund 30 Invest­ments mit Fokus auf Klimatechnologie, Digital Health, Fintech, künstlicher Intelligenz und dem Software-Vertriebsmodell SaaS. ­Ausserdem sieht sie „äusserst spannende Felder in Quanten­technologien oder New Space“, also Aktivitäten im Weltall. Zehn Unternehmen aus ihrem eigenen Portfolio hat sie bereits erfolgreich verkauft, darunter Stocard an Klarna sowie Kiwigrid an Innogy, LG Electronics und Aqton.

Schnelle ist rund um die Welt unterwegs, um Neugründungen zu prüfen, zu bewerten, in manchen Fällen zu finanzieren und anschliessend zu verwerten. In ihrem Climate-Tech-Portfolio bei HTGF sind Start-ups aus Bereichen wie Agritech, Energie, Mobilität oder Kreislaufökonomie; zum Beispiel Traceless Materials, das Biomaterial aus Reststoffen der industriellen Getreideproduktion herstellt. Da­mit hat das Unternehmen 2022 den 20. Deutschen Gründerpreis gewonnen und sich im September 2023 eine Series-A-Finanzierungsrunde in Höhe von 36,6 Mio. € ge­sichert.

Schnelle hält Meetings quer über den Globus. Im deutsch­sprachigen Raum verhandelte sie grosse Deals für Medienunternehmen wie Axel Springer, Thalia oder die Schweizer TX Group, die etwa den Tages-­Anzeiger, 20 Minuten und Goldbach umfasst. Seit rund zehn Jahren ist Schnelle Finanzierungsspezialistin für internationale Unternehmen wie Crealytics oder Quobyte mit Teams in Berlin, Lon­don, New York und Boston.

Immer wieder sind es Krisen, de­nen die Deutsche aktiv entgegentritt. „Ich bin ein chancenorientierter Mensch, sonst hätte ich nicht im Venture Capital meine Heimat gefunden. Die Chancen im Bereich künstliche Intelligenz sind enorm und wir sehen eine exponentielle Entwicklung in jeder Facette, nur die Regulative hinken hinterher.“ Ihrer Meinung nach ist die ­Europäische Union in zu lang­samen Zyklen unterwegs. Das Europäische Parlament hat am 14. Juni 2023 erstmals ein Gesetz zu künstlicher Intelligenz beschlossen.

„Schon früh haben KI-Sicherheitsexperten Anforderungen an die Entwicklung generativer KI-Systeme formuliert, die etwa den Live-Zugang zum Internet, Programmierfähigkeiten oder Manipulations­techniken betreffen“, so Schnelle. Die aktuelle Entwicklung zeige ihr jedoch, dass diese bereits von der Realität eingeholt wurden. „Bei der Erschliessung der enormen positiven Potenziale von KI-Anwendungen dürfen die tiefgreifenden Risiken nicht ausser Acht bleiben“, meint sie. „Das bereitet mir graue Haare und Stirnrunzeln. Klar ist es möglich, schneller zu reagieren. Es stellt sich nur die Frage, ob man schnell genug werden kann“, so die ­Geschäftsführerin des HTGF – schliesslich fahre nicht jeder sicher, der schnell un­terwegs ist.

Romy Schnelle ist in der diesjährigen Forbes-Liste „Women in Tech“ in der Kategorie Investorinnen vertreten.

Ihren ersten grossen Erfolg hatte die damals 26-jährige Medien­wissenschaftlerin gemeinsam mit MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg in Erfurt und Los Angeles gelandet: Die beiden gründeten das Fraunhofer Spin-off Iosono, das heute Barco Audio Technologies heisst und ein inter­nationales Technologieunter­nehmen ist, spezialisiert auf die Visualisierung und Zusammen­arbeit in verschiedenen Branchen. Barco sorgt für klare Bilder zum Beispiel in Kinos, Medizinuniver­sitäten, Kontroll­räumen, 3D-Visualisierungen, Si­mu­latoren oder Schulungs­lösungen. Vor mehr als zehn Jahren spielte Schnelle im Advisory Board der Dolmetsch-Plattform bab.la eine Schlüsselrolle, bis das Start-up an Oxford University Press verkauft wurde.

Angesprochen auf das ­zu­kunftsträchtige Geschäft mit virtueller Realität bleibt sie am Boden der Tatsachen: „Die grossen US-Akteure wie Meta, Apple und Google liegen klar voran“; vor allem im B2C-Markt, wo Applikationen entwickelt würden, die eine Brille und eine entsprechende Software mit hoher Rechenleistung voraussetzen. Deutsche Geschäftsmodelle würden es nur schaffen, wenn sie die starken Wachs­tumsanforde­rungen, die die Investoren haben, befriedigen. Gute Chancen sieht Schnelle in B2B-Ansätzen, etwa in der Medizintechnik oder der Auto­mobilindustrie, die in einem dedizierten Markt Anwendung finden. „Wir haben 2022 etwa Enscape, einen Entwickler von Echtzeit-Rendering- und Design-Workflow-Technologie, sehr er­folgreich verkauft“, sagt Schnelle.

Und auch in der Klimakrise bleibt sie optimistisch – sie sieht grosse Chancen für ökologische Innovationen. „Insgesamt ist Climate Tech ein sehr rendite­starker Cluster, in dem wir bereits seit 2008 investiert sind und erfolg­reiche Exits realisiert haben; Porsche übernahm etwa Fazua, einen Hersteller von E-Bike-Antriebssystemen.“ Nicht nur aus professioneller, sondern auch aus privater Perspektive ist Schnelle der Klimaschutz ein Herzensthema: „Ich fahre sehr gerne Ski in Österreichs Bergen und will dieser Leidenschaft in Zukunft weiterhin nachgehen können.“ Ihr Fahrstil entspricht wohl ihrer Art, beruf­liche Entscheidungen zu treffen: „Ich fahre schnell, aber sicher.“

Romy Schnelle war im Jahr 2005 Mitgründerin des Fraunhofer Spin-offs Iosono und wechselte 2008 zum High-Tech Gründerfonds (HTGF). Seit Mai 2023 bildet sie dort gemeinsam mit Alex von Frankenberg und Guido Schlitzer die Geschäftsführung.

Fotos: Kristina Mehlem

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.