Strenger Aufseher

Thomas Bauer, Präsident  der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma, im Interview.

Was ist für Sie das grundsätzliche Ziel von Regulierung, insbesondere jener de Finanzmarkts?
Regulierung dient der Verhinderung von Missständen und der Korrektur von Marktversagen. Es müssen jedoch nicht jedes Detail und alle denkbaren Fälle geregelt sein.

Die Finma gerät immer wieder in die Kritik, zuletzt wurde die Regulierungskompetenz Ihrer Behörde infrage gestellt. Warum bekommen Sie vonseiten der Politik solch hohen Druck?
Ich beobachte einen Zyklus in der Kritik. Im Nachgang zur letzten Finanzkrise wurde die Regulierung auf allen bedeutenden Finanz­plätzen deutlich verschärft. Dies völlig zu Recht, denn die Krise zeigte die Missstände deutlich auf. So waren insbesondere die Eigenmittel- und Liquiditätspolster ungenügend. Zehn Jahre später ist die Krise nicht mehr so stark im Vordergrund und die Marktteilnehmer wünschen sich wieder lockerere Regeln.

Die Schweizer Banken stöhnen unter vermeintlicher Überregulierung sowie hohen Compliance-­Anforderungen. Gleichzeitig sind die Gesetze in der Schweiz deutlich schlanker als beispielsweise in England oder den USA. Was ist es denn nun – zu viel oder zu wenig?
Diese Frage muss man differen­ziert betrachten. Der Gesetzgeber und wir bekennen uns klar zu einer starken Eigenmittel- und Liquiditätsausstattung der Finanz­institute. Dies ist das Herzstück einer prudenziellen Regulierung und schützt das Finanzsystem und damit die Volkswirtschaft am effektivsten. In vielen anderen Bereichen ist die Regulierung der Schweiz aber prinzipienorientiert und daher vergleichsweise schlank. So enthält unser Rundschreiben zur Corporate Governance und internen Kontrollen von Banken lediglich zwölf Seiten. In der EU machen alleine die Bestimmungen zu „fit and proper“ der Organe über 30 Seiten aus, wobei noch nichts zu Risikomanagement oder internem Kontrollsystem gesagt ist. Aber auch im Schweizer Regulierungsansatz ist jede neue Regulierung mit Aufwand für die Beaufsichtigten verbunden. Das müssen wir weiterhin im Blick behalten. Wir sind weiter bestrebt, unnötige Bürokratie und Aufwand zu eliminieren. Daher prüft die Finma gegenwärtig, wie bei kleinen, unproblematischen und konservativ geführten Banken die Komplexität reduziert werden kann, ohne dabei die Sicherheit im System zu senken.

Ändern sich die Anforderungen an die Finma mit der zunehmenden Digitalisierung des Finanzmarkts?
Ja, sie erfordert von uns als Behörde, dass wir diese ­Neuerungen verstehen und in Bezug auf die wesentlichen Risiken einschätzen können. In diesem Bereich hat die Finma denn auch ihre Kompetenzen ausgebaut. So konnten wir bei allen größeren Digitalisierungsthemen, sei es Kryptowährungen, Crowdfunding-Plattformen oder jüngst ICOs, jeweils rasch auf die Nachfragen und Bedürfnisse des Marktes reagieren. Einiges bleibt aber auch gleich: Wir müssen unabhängig von einer Technologie oder einem Geschäftsmodell die bestehenden Gesetze anwenden und ihre Schutzziele erreichen, wie beispielsweise den Schutz der Anleger oder die effektive Prävention im Bereich der Geldwäscherei.

Braucht es andere Werkzeuge und Bedingungen, um Fintechs zu regulieren?
Wir kommen gegenwärtig gut mit der bestehenden Regulierung aus, um die neuen Entwicklungen sinnvoll zu begleiten. Aber wir orten auch Verbesserungspotenzial. So haben wir beim Gesetzgeber eine Fintech-Bewilligung angestoßen, die tiefere Anforderungen als an eine Bank stellt. Weiters stellen sich Fragen, die über die Finanzmarkt­regulierung hinausgehen, dazu gehören insbesondere zivilrechtliche Aspekte. Diese werden zurzeit in einer Arbeitsgruppe des Bundes beleuchtet. Wir schließen auch nicht aus, dass es mit der technologischen Weiterentwicklung neuer Anpassungen in der Regulierung bedarf. Dies wird aber voraussichtlich in vielen Fällen die Angelegenheit der Politik und nicht der Aufsichtsbehörde sein.

Insbesondere bei der Regulierung von Kryptowährungen gilt die Schweiz als Vorreiter. Ist das ein Vor- oder Nachteil für den Finanzplatz?
Die Finma begrüßt ­Innovation auf dem Finanzplatz Schweiz. Hier ist unser Ansatz, dass seriöse Anbieter eine echte Chance in einer rechtssicheren Umgebung erhalten sollen, damit der Markt entscheiden kann, ob bestimmte Geschäfts­modelle wirtschaftlichen Erfolg haben. Die Finma geht aber konsequent gegen unseriöse Anbieter vor; diese gilt es, von unserem Finanzmarkt fernzuhalten. Kurz: So „pro Innovation“ wir sind, so entschlossen sind wir „anti Finanzkriminalität“. Wenn dieses Spannungsfeld überbrückt werden kann, ist das klar ein Vorteil für unseren Finanzplatz.

Was ist die Meinung der Finma zu Kryptowährungen im All­gemeinen und Initial Coin Offerings (ICOs, Anm.) im Speziellen?
Die Finma ist in Bezug auf einzelne Geschäftsmodelle ­neutral: Wie gesagt sind wir bestrebt, eine rechtssichere Umgebung zu schaffen, damit seriöse Anbieter eine Chance auf Erfolg haben. Die Blockchain-Technologie bietet erhebliches innovatives Potenzial. Ob sie aber Erfolg haben wird, entscheidet letztlich der Markt. Gleichzeitig weisen wir auch auf die Risiken von Investitionen in Krypto-Tokens hin, da die Wertschwankungen teilweise extrem sind.

Gerade in Hinblick auf eine robuste Krisenprävention ist die Umsetzung der Basel-III-Regulierung sehr wichtig.

Wie stark orientieren Sie sich in Ihren Entscheidungen an internationalen Standards? Wie schwierig ist es, zwischen Äquivalenz und eigenen, nationalen Interessen abzuwägen?
Als eher kleines Land, das nicht der EU angehört, haben wir ein Interesse daran, dass auf den wichtigen Finanzplätzen gleichwertige Anforderungen bestehen. Im Bereich der Bankenregulierung beispielsweise ist der internationale ­Basel-III-Standard klar ein Vorteil für die Schweiz. Die Finma unterstützt Äquivalenzbestrebungen, damit die Schweizer Institute im Ausland Marktzugang erhalten können.

Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein sieht weder ­politische noch wirtschaftliche ­Faktoren, sondern fehlende Cybersecurity als größte Bedrohung für den ­Finanzmarkt. Stimmen Sie
dieser Einschätzung zu?
Ich sage es so: Aufseiten der Institute gehören die Cyberrisiken sicher gegenwärtig zu den größten operationellen Risiken. Finanzinstitute sind ein Lieblingsziel von Hackerangriffen und anderen Cyberattacken. Dies zeigen die jüngsten Statistiken der Schweizer Melde- und Analysestelle Informationssicherung MELANI: Zwei Drittel der Angriffe auf kritische Infrastrukturen betreffen den Finanzsektor. Das Risiko für solche Attacken steigt mit der zunehmenden Digitalisierung.

Was braucht es, um die Märkte effektiv vor solchen Gefahren zu schützen?
Auf der Stufe der einzelnen Institute ist es zunächst wichtig, dass diese ihre eigene Verwundbarkeit kennen und eine gute Reaktions­fähigkeit aufbauen, um im Fall eines Cyberangriffs den Geschäftsbetrieb rasch wiederaufnehmen zu können. Bei Angriffen, die systemische Dimension annehmen, ist aber mehr nötig: Die Arbeit zwischen Fachleuten aus Finanz­industrie und Behörden muss gestärkt und institutionalisiert werden. Hier ist die Finma bereit, ­mitzuarbeiten, um solche Bestrebungen in der Schweiz weiterzubringen.

Wie lautet Ihr Fazit bezüglich des Schweizer Finanzmarktes in den letzten Jahren? Haben die Banken aus der Finanzkrise die richtigen Schlüsse gezogen?
Die Schweiz hat die ­sogenannte Too-big-to-fail-Gesetzgebung unter Beteiligung von Behörden und Branche sehr rasch eingeführt und umgesetzt. So mussten insbesondere die Großbanken ihre Eigenmittel stark erhöhen. Der Sicherheitspuffer ist heute bedeutend größer als vor der Krise. Außerdem hat die Schweiz als weltweit führender Vermögensverwaltungsstandort einen größeren Paradigmenwechsel vollzogen, indem sich die Institute von der Annahme unversteuerter Vermögen als Geschäftsmodell verabschiedet haben. Erfreulich ist auch, dass sich der Schweizer Finanzmarkt bezüglich Digitalisierung als attraktiver Standort sowohl für bestehende Institute wie auch Start-ups etabliert hat.

Was braucht es, um eine neuerliche Krise zu verhindern? Sind die Schweiz und Europa gut gewappnet?
Wie erwähnt ist die Finma überzeugt, dass strenge Kapitalanforderungen ein sehr effektives Mittel zugunsten der Systemsicherheit darstellen. Gerade im Hinblick auf eine robuste Krisenprävention ist die ­Umsetzung der Basel-III-Regulierung in der Schweiz und in Europa sehr wichtig. Weiters haben die systemrelevanten Schweizer Banken organisatorische Vorkehrungen für den Notfall getroffen, etwa indem sie interne Abhängigkeiten abbauen. Auch hier wurden ­Fortschritte erzielt. Die Maßnahmen, die Europa auf verschiedenen Ebenen zum Abbau von notleidenden Krediten unternommen hat, sowie die Schaffung der Bankenunion stärken insgesamt das europäische Finanzsystem.

Wohin wird sich die Finanzmarkt­regulierung Ihrer Meinung nach in den ­nächsten Jahren ent­wickeln? Welche Trends zeichnen sich schon ab, welche Änderungen können wir erwarten?
Mit zunehmender zeitlicher Distanz zur letzten Finanzkrise wird sich der Appetit nach Dere­gu­lierung verstärken. Die zentrale Frage ist jetzt, wo gibt man diesem Appetit nach? Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass gewisse Teile der Regulierung für kleine Banken zu komplex und aufwendig geworden sind. Hier erarbeiten wir neue Lösungsansätze. Bei der Systemsicherheit dürfen wir das Rad aber nicht wieder zurückdrehen: Die zentralen Errungenschaften zur Stärkung der Systemstabilität sollen nicht ver­wässert werden.

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen.

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