Sushi neu gedacht

Wie ein Japaner in Malaysia mit Halal-Sushi einen Riesenerfolg feierte.  

Es ist exakt 19:22 Uhr an diesem Abend im Fastenmonat Ramadan – und in einem Einkaufszentrum nahe der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur hallt der Gebetsruf durch die Gänge. Wieder ist ein Tag des Fastens zu Ende. In der Fast-Food-Filiale von Sushi King sind bereits 13 der 15 gedrängt angeordneten Tische von hungrigen Menschen besetzt. Ihre Stäbchen haben die Gäste bereits erwartungsvoll gezückt. Wie auf Kommando schnappen die Gäste nach Ende des Gebetsrufs nach den Häppchen auf den kleinen Tellern, die sie zuvor von dem sich durchs Lokal windenden Laufband genommen haben: Lachssushi, grüne Sojabohnen und – als lokale Spezialität – scharfe Röllchen, gefüllt mit Hühnerfleisch und Käse. Das Personal in der Küche hat alle Hände voll zu tun, die frisch zubereiteten kleinen Speisen am laufenden Band nachzufüllen.

Seit Sushi King, eine Restaurantkette mit 113 Filialen in ganz ­Malaysia, Halal-zertifiziert ist, gibt es dieses Jahr erstmals ein All-you-can-eat-­Angebot im Ramadan. Dafür, dass Sushi in ­Malaysia heute eine Fast-Food-Option wie McDonald’s oder Kentucky Fried Chicken geworden ist, ist vor allem ein Mann verantwortlich: Fumihiko Konishi, Pharmazeut und erfolgreicher Unternehmensgründer. Der Japaner lebt seit über 40 Jahren in Malaysia.

Der 73-jährige Konishi ist ­voller Tatendrang, sein Haar dunkel und dicht. Er hält sich fit, indem er täglich eine fast sieben Kilometer lange Power-­Runde im Botanischen Garten von Penang dreht. Im Jahr 2007 wurde ihm vom König von Malaysia der Titel „Tan Sri“ verliehen, was mit der Erhebung in den britischen Ritterstand vergleichbar ist. Ihm gehören 61 Prozent des börsen­notierten Unternehmens Texchem ­Resources, das wiederum Eigentümer von Sushi King ist. Der Wert des Anteils beläuft sich auf 25 Millionen US-$.

Konishi erwartet, dass die Zahl der Sushi-King-Filialen bis Ende 2017 auf 122 anwachsen wird. Das Restaurant­geschäft von Texchem generierte 2016 55 Millionen US-$ – 22 Prozent des Konzernergebnisses. Laut Konishi ist Sushi King – mit zwei Dutzend weiteren Filialen, die jeweils Ramen- und Udonnudeln, Reisgerichte oder japanischen Kaffee im Angebot haben – der am schnellsten wachsende Bereich des breit aufgestellten Konzerns. Sushi King expandiert auch in anderen Regionen, mit mittlerweile vier Restaurants in Vietnam, einer noch für dieses Jahr vorgesehenen Neueröffnung in Jakarta und drei geplanten Sushi-King-Filialen in Brunei.

Bis vor nicht allzu langer Zeit besetzten japanische Lokale in Malaysia nur eine winzige Marktnische – als Res­taurants in Fünfsternehotels mit vor allem japanischen Expats und reichen Einheimischen als Klientel. Im Lauf der vergangenen Jahre sind die malaiischen Einwohner des Landes, die 60 Prozent der 30 Millionen Menschen umfassenden Gesamtbevölkerung ausmachen (und Moslems sind), jedoch in ihrem Konsumverhalten kosmopolitischer und gleichzeitig bei der Einhaltung ­religiöser Vorschriften strikter geworden. Das einflussreiche Ministerium für Islamische Entwicklung in Malaysia (JAKIM) spielt dabei eine dominante Rolle. Die Kriterien für die Zertifizierung als Halal-Betrieb sind in Malaysia strenger als entsprechende Standards in Singapur oder Indonesien. Manche Moslems sind zwar weiterhin bereit, in Restaurants zu essen, die lediglich kein Schweinefleisch führen, aber nicht zertifiziert sind. Doch immer mehr halten bei der Wahl des Speiselokals ­bereits nach dem „JAKIM-Halal“-Siegel Ausschau. „Der malaysische Markt ist riesig“, erklärt Faisal Fadzil, Gründer von Tanamera Tropical Spa Products und Vortragender bei Veranstaltungen in der Halal-Branche. „Bei ,Halal‘ geht es um weit mehr als nur um die Verbannung von Schweinefleisch, Alkohol und sonstigen Zutaten, die ,haram‘, also nach muslimischem Glauben verboten sind. Es geht zum Beispiel auch um die Einhaltung von Hygienestandards“, so Fadzil.

Wegen Fumihiko Konishi ist Sushi in Malaysia heute eine Fast-Food-Option wie McDonald’s.

In Malaysia haben mit der beliebten japanischen Fernsehserie „Oshin“ rund um ein einfaches Bauernmädchen, das den sozialen Aufstieg schafft, seit den 1980er-Jahren auch andere kulturelle Importe aus Japan Einzug gehalten. Ungefähr um dieselbe Zeit rief der damalige Premierminister Mahathir Mohamad seine „Look East“-Politik aus: In manchen Schulen wurde neben Arabisch und Französisch auch Japanisch als Unterrichtsgegenstand eingeführt.

„Wir sind eine aufstrebende Nation. Wir möchten etwas erreichen“, so Dina Zaman, Gründerin von Iman, einem malaysischen Thinktank, der sich mit gesellschaftlichen und religiösen Entwicklungen beschäftigt.

Das erkannte auch Fumihiko ­Konishi, als er erstmals 1968 im Rahmen einer Exkursion anlässlich des 100-jährigen Gedenkens an die Meiji-­Restauration nach Malaysia kam. Die Reise sollte sein Leben in zweierlei Hinsicht grundlegend verändern: Er lernte seine zukünftige Frau Atsuko kennen – und er beschloss, wieder nach Malaysia zurückzukehren. Er hatte sein Pharmaziestudium bereits abgeschlossen, inskribierte sich aber dennoch als Austauschstudent an der University of Malaya in Kuala Lumpur. Danach nahm er in Singapur einen Vertriebsjob bei einem Importeur für japanische Farbstoffe und Seifen im Textilbereich an. 1973 übersiedelte er dann in die malaysische Stadt Penang, mietete einen Schreibtisch in der Schuhhandelsfirma eines Freundes und begann selbst mit dem Handel von Textilchemikalien. „Ich tat alles: Ich telefonierte, schrieb Rechnungen, lieferte aus und kassierte“, erinnert er sich.

Damals war es noch ­ungewöhnlich, dass ein japanischer Geschäftsmann alleine reiste, um seine Produkte zu verkaufen. Insbesondere chinesischstämmigen Malaysiern waren die von japanischen Soldaten verübten Gräuel­taten des Zweiten Weltkriegs noch gut in Erinnerung. Bei Kundenbesuchen stand das immer wieder im Raum – Konishi verbeugte sich dann mit gesenktem Blick und bat für seine Landsleute um Verzeihung. Seit damals gründete Fumihiko Konishi mehr als 70 Unternehmen, die Bandbreite reicht von Schuhen bis zu Gelsenspiralen, von Verpackungen für die Hightech-Indus­trie bis hin zu Kunststoffprodukten.

Aber nicht alle ­Unternehmungen des „Sushi King“ waren von Erfolg gekrönt. Eine in Penang errichtete Leiterplattenfabrik wurde wieder geschlossen, weil man mit den Preisen der Hersteller in Singapur nicht mithalten konnte. Ein in der Surimi-­Produktion (in Stäbchen gepresstes Krabbenfleisch) tätiges ­Unternehmen war über mehrere Jahre hinweg immens erfolgreich, dem florierenden Business wurde jedoch durch ein EU-Importverbot auf Meerestiere aus Malaysia ein jähes Ende gesetzt. Und vor einem Monat schloss Texchem zwei verlustträchtige Dim-Sum-­Restaurants in Kuala Lumpur.

Heute firmieren 41 Unternehmen unter dem Texchem-Dach. Japanische Geschäftsleute sind normalerweise vorsichtige Unternehmer, Konishi ist laut Weggefährten jedoch ­risikobereit. Im Jahr 1995, als Konishi die erste Filiale eröffnete, war Sushi in Malaysia kaum bekannt. Die erste Filiale von Sushi King brachte das Konzept des Running Sushi erstmals nach Malaysia. Es schlug voll ein. Am ersten Tag war die Schlange vor dem Geschäft bereits 50 Meter lang. „Es war unfassbar für mich“, so Konishi, „und für alle anderen auch.“

Halal-Sushi

Zu Beginn war die Kundschaft von Sushi King fast ausschließlich nicht muslimisch, es kamen hauptsächlich chinesischstämmige Malaysier. Für die malaiische Bevölkerung stand ­roher Fisch schlicht nicht auf dem Speiseplan. Und in den Restaurants gab es zwar kein Schweinefleisch, doch für Gerichte wie Unagi (Aal) wurde Mirin, ein Reiswein mit hohem Zucker­gehalt, verwendet. Überhaupt enthalten die Grundzutaten – Sojasauce, Essig und Misopaste – wegen der Fermentierungsprozesse bei der Herstellung ­geringe Mengen Alkohol.

Um die Jahrtausendwende wurde Konishi klar, dass er die ­muslimische Bevölkerung als Kunden ­gewinnen musste, wenn sich Sushi King am Markt behaupten sollte. Der nicht muslimische Bevölkerungsanteil in Malaysia war wegen verstärkter Auswanderung und niedrigen Geburten­raten im Sinken begriffen. Muslimische Familien waren kinderreicher. Doch Sushi Kings Küchenchef rümpfte die Nase, als er mit der Idee von Halal-­Sushi konfrontiert wurde. Er befürch­tete Geschmackseinbußen. Aber Konishi setzte sich durch.

Mirin wurde also aus der Küche verbannt, die Chemiker bei Texchem experimentierten mit der Reduzierung des Alkoholanteils bei anderen Zutaten und man versuchte, die Hersteller in der übrigen Welt ebenfalls ins Boot zu holen.

Im Vorjahr wurde Sushi King vom JAKIM-Ministerium Halal-zertifiziert. Der Schritt hat sich bereits bezahlt gemacht. Laut Akihiko Hijioka, CEO von Texchems Restaurantsparte, waren vor der Zertifizierung 22 Prozent der Kunden Moslems, danach stieg dieser Anteil auf beinahe 40 Prozent an. Die Zahl der nicht muslimischen Kunden blieb unverändert. Nach langen Jahren voller Start-ups und Umwege ist Koni­shis Geschäftsidee des „neu erfundenen“ Halal-Sushi vielleicht sein genialster Schachzug.

Dieser Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2017 „Lernen" erschienen.

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