Traumfänger

Das niederländische Unternehmen Mars One hat es sich zum Ziel gesetzt, die erste bewohnbare Siedlung auf dem Roten Planeten zu errichten. Doch wie realistisch ist das Projekt?

„Für mich steht der Weg fest. Für das Umfeld ist das natürlich schwierig. Die Menschen können sich nun mal nicht vorstellen, dass es One-Way ist und es keine Rückkehr gibt.“ Steve Schild scheint sich seiner Sache äußerst sicher zu sein. Der Schweizer ist einer von 100 Kandidaten, die noch im Rennen sind, beim ersten Marsflug von Mars One an Bord zu sein.

Denn das niederländische Unternehmen will 2032 das erste vierköpfige Team auf den Roten Planeten schicken, um dort eine bewohnbare Siedlung zu gründen. Das Spannende daran: Schild ist – wie auch die anderen 99 verbleibenden Kandidaten – kein Astronaut. Ganz im Gegenteil. „Mich haben Raumfahrt und die zugehörige Technologie schon in der Kindheit fasziniert. Es ist dann aber nichts geworden mit der Astronautenkarriere – meine Eltern waren dagegen. Also habe ich eine Lehre gemacht.“ Schild wurde zum Hochspannungselektriker ausgebildet, bildete sich mit einem Wirtschaftsdiplom weiter – und arbeitet heute als industrieller Kaufmann für industrielle Automation und Antriebstechnik. Denn Mars One schickt nicht Astronauten zum Mars, sondern Zivilisten. 200.000 Menschen meldeten sich seit dem Launch 2011 auf der Website an, 12.000 füllten den ausführlichen Fragebogen aus. Mittels Skype-Interviews und anderen Kriterien suchte man sich nun 100 aus, die um die begehrten Plätze kämpfen. „Man kann sich das wie ein Jobinterview vorstellen“, sagt Schild. Doch wer will an einer Marsmission teilnehmen, von der es keine Rückkehr gibt? Bas Lansdorp, CEO von Mars One, führt eine rationale Erklärung für die fehlende Rückkehrmöglichkeit an: „Es ist zu teuer. Denn selbst von der Erde funktionieren fünf Prozent aller Raketenstarts nicht. Wenn hier schon fünf Prozent nicht klappen, wie soll ein solcher Start dann vom Mars möglich sein? Wo das Raumschiff mehrere Jahre nicht verwendet wurde und es keine Startplattform gibt?“ One-Way also.

2032 soll der erste bemannte Flug in Richtung Mars gehen, alle zwei weiteren Jahre sollen vier Menschen den ersten „Siedlern“ folgen. Der Zeitraum wird durch die Konstellation der Planeten vorgeschrieben, die einen Start nur alle 500 Tage ermöglicht. Doch bereits 2021, also in vier Jahren, will Mars One die ersten Starts Richtung Mars beginnen. Denn damit die ersten Menschen auf dem Mars auch Materialien vorfinden, braucht es natürlich Warentransporte vorab. Doch vier Jahre scheinen eine völlig unrealistische Zeit zu sein, um eine Rakete zum Mars zu schicken. Vor allem, da Experten wie der Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann vor 2050 oder 2060 so gut wie keine Chance für eine bemannte Mission sehen.

Bas Lansdorp
...studierte Maschinenbau an der Universität Twente und hält einen PhD-Titel in Windenergie von der Delft University of Technology. 2011 gründete er mit Arno Wielders Mars One.

Doch Bas Lansdorp ist das herzlich egal. Er verfolgt das Ziel einer Marskolonialisierung nämlich schon seit seiner Studienzeit. Der ausgebildete Maschinenbauer sieht die große Herausforderung aber nie bei der Technologie, sondern bei den Menschen selbst. Denn die ersten vier Siedler müssten sich selbst organisieren und anschließend alle zwei Jahre weitere vier Siedler in ihre Gemeinschaft integrieren: „Unsere Teams müssen ihre eigene Nahrung erzeugen, technische Skills besitzen etc. Wir müssen unsere Teams daher auf der Erde gut trainieren und weiterentwickeln. Die sozialen Strukturen müssen sie aber selbst entwickeln, denn wir haben keine Möglichkeit, das durchzusetzen.“ Denn selbst, wenn Mars One den Siedlern eine Demokratie als Lebensform vorschlägt – was letztendlich sozial und politisch auf dem Mars passiert, lässt sich von der Erde aus schlicht nicht steuern. Das ist zwar bei den ersten Tranchen vielleicht noch nicht allzu relevant, spätestens, wenn die Gruppe aber 20 oder 25 Personen groß werden sollte, könnte es hochrelevant werden. Auch deswegen setzt das Unternehmen auf Teamfähigkeit und testet die Kandidaten in Extremsituationen auf ihre Arbeit in der Gruppe.

Auch Steve Schild reizt diese soziale Struktur besonders: „Das wird eine große Herausforderung, denn wir wissen nicht, was für eine Struktur sich da etabliert. Es könnte in Richtung Demokratie gehen, aber auch eine Diktatur werden. Ich habe mit Leuten gesprochen, die länger auf Schiffen unterwegs waren. Die haben gesagt, dass es da letztendlich Teams braucht, die perfekt zusammenpassen. Da gibt es viele Parallelen zu Raumschiffen.“ Ob sich Mars One und seine Kandidaten die Frage der Form des sozialen und politischen Zusammenlebens in einer eigenständigen Marssiedlung überhaupt stellen müssen, ist jedoch genauso wie das politische System ungeklärt. Denn Bas Lansdorp versteht auch, dass er ein Geschäftsmodell benötigt, um die Entwicklungskosten des Projekts zu tragen. „Wir gehen von insgesamt rund sechs Milliarden US-$ Entwicklungskosten aus. So viel Geld habe ich nicht auf meinem Bankkonto herumliegen. Also brauchen wir ein funktionierendes Unternehmen, das die Entwicklungskosten übernimmt.“

Neben der gemeinnützigen Stiftung Mars One gründete Lansdorp mit seinem Geschäftspartner und Mitgründer Arno Wielders das Unternehmen Mars One Ventures, das das nötige Kleingeld für das Mammutprojekt bereitstellen soll. Dabei sieht Lansdorp die Finanzierung aber nicht – wie etwa Elon Musk – durch den Verkauf von Tickets. Denn obwohl Mars One den Kandidaten bisher keine Aufwandsentschädigung zahlt, sollen auch die Tickets für die letztendlich Ausgewählten kostenlos sein.
Der Umsatz soll von anderer Stelle kommen. Lansdorp: „Es gibt drei wesentliche Komponenten. Erstens erwarten wir uns Einnahmen aus dem Exposure, das wir bekommen werden. Das inkludiert etwa Übertragungsrechte, Sponsoren, Partnerschaften etc. Zweitens werden wir mit dem intellektuellen Eigentum, das wir im Laufe des Projekts kreieren, Geld verdienen können – ein Beispiel sind neue Techniken, um Ernährung zu produzieren. Und drittens können sich rund um unsere Inhalte interessante andere Geschäftsmodelle ergeben.“ Als Beispiel nennt Lansdorp den Fall eines Bestattungsunternehmens, das seinen Kunden die Möglichkeit anbieten will, ihre Asche im Weltall zu verstreuen. Zugegeben: Das alles klingt äußerst schräg.

Die Menschen können sich nun mal nicht vorstellen, dass es One-Way ist – und es keine Rückkehr gibt.

Doch Lansdorp scheint keine Späße zu machen. Ende 2016 fusionierte Mars One Ventures mit der Schweizer InFin Innovative Finance AG in einem „Reverse Merger“. Das bedeutet, dass InFin Mars One aufkaufte, das fusionierte Unternehmen jedoch unter dem Namen Mars One Ventures firmieren wird. Dieser Schritt war nötig, damit das Unternehmen öffentlich an der Frankfurter Börse gehandelt werden kann. Über Anteile sollen Investoren gefunden werden, die die Finanzierung sicherstellen. Und so setzte es auch gleich das erste namhafte Investment: Das Hongkonger Investmentunternehmen Stock & Bond Trade Limited stellte sechs Millionen US-$ zur Verfügung. Doch es braucht noch zahlreiche weitere Investoren, um die geschätzten Entwicklungskosten von sechs Milliarden US-$ – Experten bezweifeln den Wert übrigens stark – zu erreichen.

Wie erfolgreich Mars One Ventures wirtschaftlich letztlich ist, ist ohne Umsatzzahlen derzeit schwer zu beurteilen. Die Stiftung Mars One erteilte dabei alle „globalen Monetarisierungsrechte“ an Mars One Ventures. Das Unternehmen verpflichtete sich im Gegenzug wiederum, fünf Prozent aller Umsätze an die Stiftung abzugeben. Während eines Audits des Unternehmens, das vor dem Merger verpflichtend durchzuführen war, wurde eine Bewertung von rund 380 Millionen US-$ für das Unternehmen errechnet. Zum Vergleich: Als Google und der US-Finanzriese ­Fidelity 2015 je eine Milliarde US-$ in SpaceX investierten, schätzte Fidelity die Bewertung von SpaceX auf rund 15 Milliarden US-$.

Auf der Einnahmenseite fokussiert sich Landsdorp jedoch vor allem auf die Erzeugung von Content: „Wir müssen es schaffen, die Story hinter dem Projekt zu monetarisieren. So, wie Star Wars monetarisiert wurde, müssen wir das mit der Kolonialisierung des Mars machen. Während der Vorbereitungen etwa, wenn wir in der Trainingsphase sind. Und auch später vom Mars: Das ist der nächste große Schritt für die Menschheit, das lässt sich über ein TV- oder Webprogramm darstellen.“ Einem naheliegenden Vorwurf nimmt der Unternehmer dabei im Nachsatz gleich den Wind aus den Segeln: „Wir wollen kein „Big Brother auf dem Mars“ veranstalten – die Qualität der Teams, die wir auswählen, wird jederzeit Vorrang vor der Unterhaltung haben.“ Doch die Kritik in der Öffentlichkeit zielt genau darauf ab. Während einer Onlinediskussion auf der Social-News-Community Reddit wurden Vorwürfe geäußert, dass Mars One aus dem Projekt eine Reality-TV-Show machen wolle und mit Träumen von Menschen – die Besiedelung eines fernen Planeten – spiele, um Geld zu verdienen.

Wenn man Steve Schild so zuhört, kann man nämlich wirklich glauben, dass die ihn antreibende Leidenschaft für das Projekt auch stark aus einer verträumten Naivität stammt: „Für mich ist es selbstverständlich, dass die Menschheit expandieren wird. Die meisten können sich das zwar nicht vorstellen, nennen mich einen Spinner oder Träumer. Doch die Zukunft wird zeigen, dass wir den Mars besiedeln werden.“ Lansdorp entgegnet der Kritik, dass Mars One Unterstützung von Wissenschaftlern, Geschäftstreibenden und Ingenieuren aus aller Welt bekommen habe. Doch auch die zahlreichen Verzögerungen lassen bei vielen Beob­achtern Zweifel aufkommen, ob der neu angepasste Zeitplan machbar ist. Ursprünglich hätte die erste Crew bereits 2026 auf dem Mars landen sollen, Ende 2016 wurde die Deadline jedoch um fünf Jahre verschoben – neues ­Landedatum ist, wie erwähnt, 2032. Das würde mehr Zeit für das Aufstellen des nötigen Kapitals bieten sowie die hohen Kosten bezüglich der Hardware etwas nach hinten verlagern.
Doch auch die Kandidaten sind von den Verzögerungen nicht unwesentlich betroffen. Steve Schild sieht das Ganze hingegen mehr als Prozess einer natürlichen Selektion. „Wegen der Verzögerungen haben viele sich vom Projekt zurückgezogen. Man braucht einen gefestigten Charakter, um dem Druck standzuhalten.“

Forscher der US-Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT) bezweifeln das ganze Projekt indes. In einer 2014 veröffentlichten Studie kritisierten sie den Ansatz von Mars One, dass die Mission zur Gänze auf existierenden Technologien aufgebaut werden könnte. „Es braucht neue Technologien, um Menschen auf dem Mars am Leben zu halten. Wenn beispielsweise die Ernährung zur Gänze aus lokal angebauten Pflanzen entstehen soll, wie Mars One sich das vorstellt, würde die Vegetation gefährliche Mengen an Sauerstoff produzieren. Das würde eine Kettenreaktion auslösen, die letztendlich zur Erstickung der menschlichen Bewohner führen würde. Um dieses Szenario zu vermeiden, müsste ein System implementiert werden, das überschüssigen Sauerstoff entfernt – eine solche Technologie existiert für den Einsatz im Weltraum jedoch noch nicht.“ Auch die Wasserreserven, die der Mars Phoenix Lander der NASA 2008 entdeckte, könnten schwierig zu nutzen sein. Denn sie sind lediglich in Eisform vorhanden – und es gebe laut den MIT-Forschern noch keine Möglichkeit, dieses Wasser aus dem Boden zu „backen“, vor allem nicht für den Einsatz im Weltraum. Auch die ­Kosten könnten deutlich höher sein als die von Mars One angegebenen sechs Milliarden US-$. Alleine die Lieferung der nötigen Vorräte würde nicht, wie von Mars One angegeben, sechs, sondern 15 Falcon-Heavy-Raketen benötigen und 4,5 Milliarden US-$ kosten.

Damit irgendjemand zum Mars kommen und dort überleben kann – da ist noch viel Arbeit zu tun.

„Wir sagen nicht dezidiert“, schreibt Olivier de Weck, MIT-Professor für Luft- und Raumfahrt, „dass Mars One nicht machbar ist. Doch wir ­glauben nicht, dass es unter den vom Unter­nehmen getroffenen Annahmen durchführbar ist. Wir zeigen daher Technologien auf, die bei der Erreichung dieser Machbarkeit hilfreich sein könnten.“ Auch die fehlenden ­Details zum Transport bilden noch ein Fragezeichen. Mars One will Falcon-
Heavy-Raketen von SpaceX verwenden. Doch dieser Raketentyp ist noch nie geflogen. Angesprochen auf mögliche Kooperationen, sagt Lansdorp, dass man SpaceX oder Blue Origin als Zulieferer nutzen will: „Unsere bevorzugte Lösung wäre, dass die Unternehmen, die den Launch durchführen, Zulieferer sind. Das gilt auch für alle anderen Komponenten. Mars One baut ja Bauteile nicht selbst, sondern überlässt diese Arbeit den Experten. Doch wenn ein großes Unternehmen auf uns zukommt und eine Partnerschaft eingehen wird, würden wir vermutlich nicht ablehnen.“ Für die Kandidaten bedeutet der Abschied indes weniger den ­potenziellen Anfang, sondern das Ende einer Partnerschaft. Sollte die Mission wirklich 2032 starten, würde Steve Schild etwa eine zu diesem Zeitpunkt rund 15-jährige Tochter zurücklassen. Wie er ihr das beibringen würde? „Ich denke, das ist ein schleichender Prozess. Ich lese ihr schon heute Weltraumgeschichten vor. Letztendlich werde ich ihr sagen, dass jeder seinen Weg geht – es ist der Lauf des Lebens, dass man sich trennen muss.“ Schild sieht den Mars als zweite Überlebens­chance für die Menschheit, sollte die Erde nicht mehr bewohnbar sein. Bas Lansdorp sieht das anders: „Auf dem Mars können vielleicht einige Millionen Menschen, aber sicher nicht sieben Milliarden leben. Wir wollen den Menschen zeigen, wie wertvoll die Erde ist.“

Bis dahin wird es aber jedenfalls noch dauern. Dass eine weitere Verschiebung des Projekts kommt, scheint nicht unwahrscheinlich. Steve Schild bereitet sich indes im Selbststudium auf das Auswahlverfahren vor, das angeblich Ende 2017 stattfinden soll. Bezahlt wird er dafür nicht, seinen Job muss er weiterhin ausüben. Ob Mars One jemals Menschen zum Mars schickt, bleibt offen. Sydney Do, studentische Mitarbeiterin an der MIT-Studie, trifft den Nagel wohl auf den Kopf: „Eine der größten Erkenntnisse für uns war, wie schwierig es sein wird, diese Mission durchzuführen. Es gibt noch so viele ungeklärte Punkte. Und Leuten die Zuversicht zu geben, dass sie auf den Mars kommen und dort überleben können – da ist noch sehr viel Arbeit zu tun.“

Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2017 „Keep it movin'!“ erschienen.

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