Uber meets Trucks

Drew McElroy kam schon als Kind mit dem auf Lastwagen basierenden Speditionsgeschäft in Berührung. Mit 36 Jahren versuchte er mit dem Markt dann das, was Uber bereits mit Taxis tat – eine digitale Plattform dafür bauen.

Bereits mit zwölf Jahren beschäftigte sich Drew McElroy mit Lkws. Seine Eltern führten ein Unternehmen, das Frachten vermittelte. Die McElroys brachten Lkw-Besitzer mit Unternehmen zusammen, die Waren transportieren mussten; Drew half am Telefon aus. 15 Jahre später ging ihm plötzlich ein Licht auf: Machen seine Eltern nicht eigentlich genau das Gleiche wie Uber und Lyft für Pkws? Denn auch Frachtvermittler stimmen Fahrten mit Fahrzeugen ab, reduzieren unnötige Distanzen und wenden Algorithmen an, um die Preise basierend auf Angebot und Nachfrage festzulegen. „Mir wurde klar: Das macht noch niemand!“, sagt McElroy. „Es gab also eine Möglichkeit, diese gesamte Branche zu verändern. Und die ist gar nicht so kompliziert.“

LKW-Transporte á la Uber

Der Markt für Lkw-Transporte umfasst 700 Milliarden US-$. Zudem beträgt das Volumen für die Beförderung von Komplett­ladungen in den USA mehr als 500 Milliarden US-$ pro Jahr. 2013, vier Jahre nach seinem Aha-Erlebnis, gründete McElroy Transfix, einen ­Online-Marktplatz, der Algorithmen und maschinelles Lernen einsetzt, um bessere Preise und bessere Routen für Lkw-Besitzer zu bieten. Das Timing war gut: Trucker, überwiegend Männer mittleren Alters, hatten damals erst vor Kurzem begonnen, Smartphones zu benutzen, und waren bereit, die Transfix-App zu instal­lieren.

Einige Verlader – also Unternehmen, die Güter transportieren müssen – verfügen über eigene Lkw-Flotten, die von ihren Mitarbeitern gefahren werden. Ein Beispiel ist der Einzelhandelsriese Walmart. Doch das sind Ausnahmen. Der größte Teil aller Transporte wird von Subunternehmern durchgeführt – und die überwiegende Mehrheit davon von kleinen Betreibern, die verzweifelt Auslastung erreichen wollen, um die Finanzierung ihrer Fahrzeuge zu decken. So könnte Transfix alleine 2018 rund 100 Millionen US-$ an Transportkosten verdient haben. Den Großteil dieses Umsatzes gibt das Unternehmen an die Fahrzeugbesitzer weiter.

Mit Risikokapital in der Höhe von 78 Millionen US-$ (von Investoren wie New Enterprise Associates und Canvas Ventures) hat das 140 Mitarbeiter zählende Transfix eine Bewertung von etwa 800 Millionen US-$. McElroy, CEO des Unternehmens, und sein Mitgründer Jonathan Salama (CTO) halten heute Beteiligungen, die vermutlich rund 50 Millionen US-$ wert sind. McElroy geht davon aus, dass das Unternehmen bis 2021 einen Umsatz von einer Milliarde US-$ erreichen wird – mit operativen Margen im zweistelligen Prozentbereich. So sollen Kunden wie der Brauereikonzern Anheuser-Busch oder der Konsumgüterriese Unilever bei der Verwaltung ihrer Logistik unterstützt und gleichzeitig Truckern ermöglicht werden, mehr Geld zu verdienen, indem sie Leerfahrten reduzieren. Seit der Deregulierung des US-Transportmarktes in den 1980er-Jahren entstanden rund 18.000 Frachtvermittlungen. Der größte Akteur, das börsennotierte Unternehmen C. H. Robinson, kommt auf weniger als drei Prozent Marktanteil. Das Potenzial der Technologie, die Arbeit zu rationalisieren, erklärt, warum die digitale Spedition für Risikokapitalgeber unwiderstehlich ist. Das bedeutet natürlich, dass Transfix einem harten Wettbewerb ausgesetzt ist – nicht nur von Robinson, sondern auch von Newcomern wie Convoy und Uber Freight. „VC-Investoren lieben diese Branche“, sagt Ben Narasin, ein Venture-Partner bei NEA, der persönlich in Transfix investiert hat. „Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich sehe, dass so große Branchen noch immer so veraltet sein können.“

Eltern bereits im LKW-Business gewesen

McElroy, ein 36-jähriger Mann mit rotbraunen Haaren und hellblauen Augen, wurde in New Jersey geboren. Sein Vater Danny, der im US-Militär gedient hatte, arbeitete als ­Hafenarbeiter im Schichtdienst von Mitternacht bis acht Uhr morgens. Die Familie hatte finanzielle Probleme, als McElroy noch jung war. Doch das Frachtvermittler-Geschäft seiner Eltern wurde schließlich so erfolgreich, dass sie ihn an die Lawrenceville School, zur Vorbereitung auf das College in New Jersey, schicken konnten. McElroy passte nie ganz in diese aristokratische Institution und verbrachte die Wochen­enden mit seinen Freunden aus Kindertagen und vertrieb sich die Zeit mit Biertrinken im Wald. Doch die strenge Schule machte die Universität – er schloss 2004 in Georgetown ab – für ihn zu einem Kinderspiel. „Diese Schule ist selbst heute noch, mit den Erfahrungen von Transfix, das Schwierigste, was ich je getan habe“, sagt er. McElroy kehrte nach dem College in das Familienunternehmen zurück. Sein Vater bekam 2009 die Diagnose Krebs und starb weniger als ein Jahr später. McElroy legte seinen Traum von einem Uber-ähnlichen Start-up also lange genug auf Eis, um seiner Mutter zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen – sie führt immer noch das Geschäft. Danach verließ er das Unternehmen.

Bild: Transfix, Gründer, Drew McElroy, Jonathan Salama, Forbes

Zwei ungleiche Geschäftspartner

Mit einem 50-seitigen Businessplan im Gepäck reiste McElroy nach San Francisco und schlief bei Freunden, während er lernte, wie man ein Technologieunternehmen gründet. „Es war für mich eine Art MBA – aber mit Praxisbezug.“ 2013 brachte ihn ein Investor mit Salama zusammen. Salama, heute 32 Jahre alt, hatte für den Onlinehändler Gilt und ein Start-up, das Autowäsche on-demand anbot und später von Lyft übernommen wurde, gearbeitet. Letzteres Unternehmen namens Cherry entwickelte einen Marktplatz mit GPS-Ortung. Dabei sollten Menschen, die eine Autowäsche benötigen, mit jenen zusammengebracht werden, die diesen Service anbieten. Doch seine Ideen für neue Unternehmen gingen ins Leere. „Es waren entweder gute Ideen, aber nicht in einem ausreichend großen Markt – oder einfach schlechte Ideen“, sagt Salama heute lachend. McElroy traf Salama in Brooklyn und sprach mit ihm über seine Idee einer digitalen Frachtvermittlung. „Es war wie ein richtig tolles erstes Date“, erinnert sich McElroy. „Ich sagte: ‚Lass uns in ein paar Tagen reden.‘ Und er: ‚Denk du so viel nach, wie du willst. Ich gehe jetzt nach Hause, um diese Technologie zu bauen.‘“ Eine Woche später gründeten sie das Unternehmen und teilten die Anteile 50 zu 50 auf.

Kurz nachdem McElroy sein Linkedin-Profil aktualisiert ­hatte, um zu verkünden, dass er Geschäftsführer von Transfix war, klingelte sein Handy. Am ­anderen Ende der Leitung war Angelo ­Ventrone, ­damaliger Leiter der globalen Logistik beim ­Buchhändler Barnes & Noble. Ventrone, ­heute Vice President für Logistik beimVersandspezialisten Uline, wollte sofort der erste Kunde von Transfix werden. „Die Steinzeit in dieser Branche ­dauert schon viel zu lange!“, sagte ­Ventrone. „Ich wusste, dass das eine große Herausforderung bei Barnes & ­Noble lösen würde. Meine ­einzige Frage war: ‚Wann können wir anfangen?‘“

Also erhielt Transfix mehrmals die Woche eine Bücherlieferung, die von einer Druckerei in Indianapolis in ein Lager in New Jersey gebracht werden musste – für 1.700 US-$. Wobei es damals noch keine passende Software gab. Salama löste dieses Problem, indem er sich in seiner Wohnung verschanzte und 10.000 Zeilen Code schrieb. „Programmieren ist nicht schwer“, sagt Salama. „Es braucht nur viel Geduld und Zeit. Aber wenn man eine klare Vorstellung des Produkts hat, fließt es einfach so dahin.“ McElroy sammelte danach 250.000 US-$ von „Friends & Family“ ein. Im Januar 2014 stellte Salama die erste Version des Produkts fertig. Um die Lkw-Besitzer zum Herunterladen zu animieren, platzierte McElroy Werbung an Truck-Stops. Er bot den Fahrern Schweinekoteletts und Bier an, wenn sie im Gegenzug die Transfix-App herunterladen.

Auf die Meile kommt es an

Bislang haben sich 56.000 Fahrer registriert. In der Vergangenheit waren die Frachtpreise sowohl komplex als auch intransparent, was es Vermittlern ermöglichte, die Preise kleinerer Dienstleister und Trucker zu drücken und so von einer größeren Marge zu profitieren. Der Preisfindungsalgorithmus von Transfix hingegen spuckt eine objektive Rate aus, die sich auf Informationen aus Tausenden von Datenpunkten stützt – etwa bisherige Sendungen, Ladezeiten und Wettervorhersagen. Das Unternehmen geht das Risiko ein, dass die Bezahlung gelegentlich unter die Kostendeckung fällt, und verwendet jedes neue Datenelement, um die Preisformel zu verbessern. Die passende Formel prognostiziert wiederum, welche Trucker aufgrund ihres aktuellen Standorts, angegebener Präferenzen und der bisherigen Fahrweise am ehesten eine Sendung annehmen werden. Die Spediteure müssen 1,70 US-$ pro geladene Meile (rund 1,6 Kilometer) verdienen, um Gewinn zu machen. Sie verlieren Geld, wenn ihre Lkws leer fahren – was bei mehr als 80 Milliarden Kilometern pro Jahr durchaus der Fall sein kann. McElroy geht davon aus, dass er die Gewinne der Lkw-Besitzer ­erhöhen kann, indem er sie effizienter leitet. Für die Verlader ist der Vorteil ein besserer, zuverlässigerer Preis. Die Vermittler verdienen Geld mit der Differenz zwischen dem, was sie von den Auftrag­gebern bekommen, und dem, was sie an die Trucker bezahlen, was typischerweise rund 16 Prozent sind; Transfix glaubt, dass es in der Lage sein könnte, seine Technologie zu nutzen, um diese Differenz um die Hälfte zu reduzieren. „Das Schöne daran ist, dass es einen Großteil der Kosten einspart“, sagt Jay Pickett, Transportmanager bei Ravago Americas, einem belgischen Kunststoffriesen, der mit seinen mehr als 200.000 Sendungen pro Jahr auf Transfix setzt. „Ich glaube nicht, dass die Großen bereit sind, die Kosten zu übernehmen und sie mit den Spediteuren zu teilen.“

Die Echtzeitverfolgung von Transfix ermöglicht es den Ver­ladern, das Be- und Entladen besser zu planen und gelegentlich Betrug aufzudecken. In einem Fall deuteten die Daten von Transfix etwa darauf hin, dass ein mit Aluminiumbarren beladener Lkw vom Kurs abge­kommen war; er blieb stundenlang am Straßenrand in einer zwielichtigen Gegend stehen, ein Hinweis auf einen Diebstahl durch den Fahrer. Immer öfter helfen die Daten auch, die Lager und Arbeiter auf die Ankunft eines Lastwagens vorzubereiten und ihn beispielsweise bis Tor drei und nicht bis Tor fünf fahren zu lassen.

Die Expansionspläne von McElroy zielen zunächst auf internationales Wachstum ab, später hofft das Unternehmen, auch Sendungen liefern zu können, die kleiner als eine gesamte Lkw-Ladung sind. Nach einem Jahr, in dem er sich auf die Rentabilität konzentriert habe, sagt McElroy, dass er seine Aufmerksamkeit nun auf das Wachstum richten könne. „Ich glaube, ich bin der glücklichste Mann der Welt“, sagt er. „Meine Mutter würde mich ohrfeigen, wenn ich jemals vergessen sollte, wie viel Glück ich eigentlich habe.“

Text: Amy Feldman / Forbes US
Fotos: Harry Fellows / Forbes US
Übersetzung: Wolfgang Steinhauer

Dieser Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2019 „Growth-Innovation-Forschung“ erschienen.

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