VENTURE-KAPITALISTINNEN

Die „Old Economy“ wird in der Start-up-Welt gern belächelt, doch ein Problem bleibt auch dort gleich: der Mangel an Frauen. Das zeigt sich besonders bei jenen, die das Geld mitbringen –denn die Risikokapitalbranche wird weiterhin von Männern dominiert. Doch es gibt sie, die (jungen) Frauen, die den Markt aufmischen wollen.

Die Risikokapitalbranche (­Venture Capital, VC) hat ein paar ­schwere Monate hinter sich. 2019 war geprägt vom Kollaps des „Unicorn Market“, als Unternehmen wie die Fahrtenvermittler Uber und Lyft Schwierigkeiten hatten, ihr Wachstum auch an der Börse fortzusetzen, und der Coworking-Gigant Wework in nur wenigen Monaten vollständig implodierte. Wer hoffte, dass 2020 ein Aufatmen in der Branche mit sich bringen könnte, wurde von der globalen Coronavirus-Pandemie ­eines Besseren belehrt.

Wie auch in anderen Branchen ist die aktuelle Krise jedoch eine Chance, die eigenen Schwächen zu identifizieren und zu ­bearbeiten. Nicht jedes Unternehmen mit ­einem charismatischen Gründer ist ein Tech-Unternehmen, nicht jede Idee sollte notwendigerweise von VC-­Investoren unterstützt werden. Doch die vielleicht größte, offensichtlichste Schwäche, die die Branche adressieren muss, ist die fehlende Diversität.

Während VC-Investoren durch ihre Wetten auf Start-ups in gewisser Weise unser aller Zukunft mitgestalten, ist das Gesicht der Branche ganz und gar nicht das, was viele Menschen unter Zukunft verstehen – insbesondere Frauen sind massiv unterrepräsentiert. Wie sehr, zeigen die Zahlen: In den USA hatten zuletzt drei Viertel aller VC-Unternehmen keine einzige Frau als Partner; in Europa ist die Situation noch dramatischer. Das wirkt sich natürlich auch auf die Investments aus: 2019 gingen nur 2,8 % der Gesamtfinanzierung in der Branche an rein weibliche Gründerteams. In der ­Europäischen Union entfielen zwischen Oktober 2018 und September 2019 nur 0,4 % der VC-Finanzierung auf Start-ups mit Gründerinnen.

„Man fällt als Frau in der Branche schon auf“, sagt Ines Streimel­weger, die beim schwedischen VC-Fonds Creandum in Berlin tätig ist. Doch Streimelweger will das ­nutzen, statt sich darüber zu beklagen. „Ich habe echt viele Einladungen bekommen, auf Events als Speakerin aufzutreten. Ich finde, man kann und sollte das natürlich zu seinem Vorteil nutzen, um sein Netzwerk in der Branche auszubauen.“ Creandum ist in der Branche kein Unbekannter: Insgesamt 660 Millionen € Finanzierung steuerte der Fonds für Europas Jungunternehmen bei, erst im Juni 2019 schloss man einen 300 Millionen US-$ schweren Fonds, der erneut Gelder für Early-Stage-Start-ups zur Verfügung stellt. Einen Namen hat sich Creandum mit erfolgreichen ­Wetten auf den Streamingdienst ­Spotify oder den Mobile-Payments-Anbieter iZettle gemacht. Der Fonds half so mit, Stockholm zu einem der spannendsten europäischen Start-up-Hubs zu machen, betreibt ­heute aber auch Büros in San Francisco ­sowie Berlin.

Obwohl die ehemalige Rocket-Internet- und BCG-Digital-Ventures-Mitarbeiterin Streimelweger eher zufällig in die Branche gekommen ist („Ich war zwar schon länger nahe an der Start-up-Szene dran, hatte diese Option aber lange nicht auf dem Schirm“), hat sie sich schnell an die Regeln gewöhnt: Sie will nicht damit punkten, eine Frau zu sein, sondern mit klugen Wetten auf sich aufmerksam machen.

Und da hätten bei Creandum – egal, ob Mann oder Frau – alle das gleiche Ziel: das beste Team zu finden und zu unterstützen. Auch für Eva Arh, Principal beim Linzer VC-Fonds 3VC, ist das ­Thema nicht ständig präsent: „Ich denke nicht dauernd darüber nach, dass ich eine Frau in der Branche bin“ – wie Streimelweger sieht sie eher die positiven Aspekte ihres „Allein­stellungsmerkmals“. „Ich mache aber auch viele Tech-Themen, und da merke ich schon in den Calls mit Gründern, dass sie nicht unbedingt erwarten, dass ich mich in ihren Themen so gut auskenne.“ 3VC legte 2019 einen Fonds über 50 Millionen US-$ für frühphasige Investments (bis ­Series A) auf, Arh landete für ihre Arbeit 2019 auf der „Under 30 DACH“-Liste von Forbes.

Eva Arh ist Principal beim Linzer Fonds 3VC.

Auf die Frage, ob mehr ­Frauen mehr Geld für ihre Start-ups bekommen würden, wenn mehr Frauen in der VC-Branche aktiv wären, schaut Arh skeptisch in die ­Kamera ­unseres Zoom-Calls: „Ich glaube nicht, dass mehr Investorinnen dazu führen werden. Grundsätzlich ist wichtig die Frauen zu inspirieren und zu ermöglichen, mehr Tech Unternehmen zu gründen, damit wir überhaupt mehr weibliche Gründerinnen sehen, in die wir investieren können.“ Dennoch scheint ein Bias vorhanden zu sein: Eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) zeigt, dass weiblich geführte Start-ups im Schnitt weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Finanzierungssumme ihrer männlichen Pendants erhalten: „Das Geschlecht spielt eine signifikante ­Rolle“, so die Studie.

Eine, die beide Seiten kennt, ist Laura Seifert. Ihre Karriere ­startete in einem echten „Old Boys Club“: der Bankenszene. Sie war im M&A-Bereich für JPMorgan ­tätig, bevor sie mit We Space ihr eigenes Unternehmen ­gründete – ­einen auf eine weibliche ­Community ­fokussierten Coworking-Space in Zürich. Seit rund einem Jahr hat Seifert die Seiten gewechselt und ist nun für Holtzbrinck Ventures tätig. Ihre Arbeit bei We Space habe sie für ihre aktuelle Rolle jedoch sensibilisiert, sagt sie: „Die eigene Gründung und auch meine Erfahrungen in der weiblich geprägten Community beeinflussen durchaus meine Perspektive auf Investments und Gründungsteams. Diverse Perspektiven auf ein Thema sind wichtig, damit die richtigen Fragen gestellt werden.“

Laura Seifert ist als Investment Manager bei Holtzbrinck Ventures in Berlin tätig.

Dabei zeigt die Studie von BCG auch, dass von Frauen ­gegründete Start-ups nachhaltig profitabler Gewinne erwirtschaften. Warum wäre es dann nicht sinnvoll für VCs, ausschließlich in rein weibliche Teams zu investieren? Spätestens hier zeigt sich, dass die Problematik nicht ganz so einfach ist: Frauen gründen in der Regel seltener – und wenn, dann in Branchen, die für VCs in der Regel weniger interessant sind, etwa im Lebensmittel- oder Kosmetik­bereich. Zudem legt etwa der „Female Founders Monitor“ nahe, dass ­Frauen seltener überhaupt Risiko­kapital einsammeln wollen und eher auf eigene Ersparnisse oder Finanzierung durch „Family and Friends“ setzen. In den USA setzten laut ­einer Umfrage der US-Stiftung Kauffmann Foundation insgesamt rund 80 % der Gründerinnen auf ­eigene ­finanzielle Mittel, um ihr Unternehmen aufzubauen.

Das führe von Anfang an zu einer verzerrten Auswahl, so Streimel­weger: „Wenn die Gründerteams zwischen Männern und Frauen gleichmäßiger verteilt wären, wäre die Ausgangslage eine andere“, sagt sie. „Aber die Pipeline sieht nun mal leider nicht so aus.“ Unisono sagen Streimelweger, Arh und Seifert, dass in der Branche letztendlich zählt, welchen Erfolg die unterstützten Start-ups haben. Seifert: „Als Investor hast du das Ziel, ein gutes Investment zu machen und Returns zu erzielen.“ Ein Problem dabei ist jedoch, dass VCs gerne Menschen unterstützen, die bereits Erfahrung darin haben, ein Unternehmen aufzubauen und zu skalieren. Doch wenn Frauen gar nicht erst unterstützt werden, wie sollen sie dann die ­Erfahrungen sammeln, die wiederum zu einem Vorteil bei späteren Gründungen führen? „Das beobachten wir nicht, wir haben mehrere Gründerinnen im Portfolio. Es ist wichtig, dass mehr Frauen gründen und große Visionen verfolgen“, so Seifert. Außerdem gehe es nicht immer nur um Gründungserfahrung, so die Investorin.

Doch trotz aller Schwierigkeiten, die die Pandemie auch für die Start-up-Welt mit sich bringt, ­könnte Corona auch positive Auswirkungen auf ihre Diversität haben. Denn eine der Lieblingsbranchen von Gründerinnen ist gleichzeitig ein absoluter Zukunftsmarkt: Digital Health. 30 % aller Digital-Health-Gründungen in den USA gehen auf Frauen zurück, in Deutschland ist laut „Female Founders Monitor“ fast ein Fünftel aller von Frauen gegründeten Start-ups in diesem Bereich tätig – und nur 6 % der von Männern gegründeten. „Vor dem Hintergrund ihrer hohen Expertise in den Natur­wissenschaften sind Gründerinnen elementarer Treiber medizinischer Innovationen“, so die Studie. Prominente Exemplare sind die Teleclinic-Gründerin Katharina Jünger oder Lunaphore-Gründerin Déborah Heintze.

Von einer Frauenquote – egal, ob in der Start-up-Szene oder in Vorständen – halten übrigens alle drei Investorinnen nichts: Viel eher sollten laut ihnen Initiativen aus ­Eigenantrieb gestartet werden, um das Problem zu beheben. Denn obwohl sich die drei nicht auf ihre Rolle als Frau ­reduzieren lassen, wäre das eine oder andere weibliche Vorbild vielleicht doch nicht so falsch. Streimelweger: „Ich wurde letztens gefragt, ­welche weibliche Investorin ich denn als Vorbild hätte. Da musste ich echt erst mal nachdenken …“

Text: Klaus Fiala
Fotos: Peter Rigaud, beigestellt

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–20 zum Thema „Women“.

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