Vermögen Aufbauen

Linda Alvarado, die Baulöwin aus Denver, hat einen weiten Weg hinter sich. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen schickte sie sich an, die Geschäftswelt zu erobern und Konventionen umzustürzen – heute gilt sie als eine der reichsten Frauen der Vereinigten Staaten von Amerika.

Im Stil einer Politikerin bahnt sich Linda Alva­rado den Weg zu ihrem Platz beim All-Star-Game 2021 der Major League Baseball. Immer wieder hält sie inne, unterhält sich, umarmt Menschen. Sie plaudert mit Roy, der am Verkaufsstand arbeitet, genauso wie mit Hal Roth, dem Finanzchef der Colorado Rockies. Als vor Matchbeginn der Spieler Hank Aaron geehrt wird, zückt sie ihr Handy und zeigt ein Foto, das sie gemeinsam mit dem Hall-of-Fame-Spieler zeigt. „Baseball liegt mir im Blut!“, sagt sie. Bekleidet mit einem Hosenanzug im Lila der Heimmannschaft ist sie jedoch weit mehr als einfach nur ein weiterer Fan. 1991 wurde Alva­rado auf Bitten des damaligen Gouverneurs von Colorado, Roy Romer, Teil der ersten Investorengruppe des Teams. Ihr Anteil betrug damals 1 %, das Gewicht ihrer Beteiligung war jedoch weit höher: Sie war damit die erste ­Latino-(Mit-)Besitzerin eines MLB-Teams  und die erste (Mit-)Eigentümerin, die es selbst geschafft hatte. „Es war nicht mein Mann“, sagt sie. „Es war ich. Mein Geld.“

Seit dieser Zeit wuchsen Alvarados Einfluss und Vermögen stetig. Heutzutage sieht man ihre Handschrift in ganz Denver: Die Firma Alvarado Construction, die sich ganz in ihrer Hand befindet, war unter anderem beteiligt am Bau des Mile-High-Stadions, in dem nun das Team der Denver Nuggets beheimatet ist, oder am Denver International Airport. Die Firma errichtete auch die meisten der 258 Restaurants der Kette Yum! (Filialen von Taco Bell, Pizza Hut und KFC), die von Palo Alto Inc. betrieben wird. Das Franchiseunternehmen gehört wiederum zu 51 % Linda Alvarado und zu 49 % ihrem Mann Robert.

Alvarado sagt, sie habe Erfolg gehabt, weil sie sich nicht von „konventionellem Denken“ ablenken ließ. So experimentierte sie mit einer Reihe von Innovationen, unter anderem einem neuen Innendesign für Taco-Bell-Filialen in engen städtischen Räumlichkeiten: Sie versetzte die Küche in den ersten Stock, die Tabletts mit Essen werden robotergesteuert über ein Förderbandsystem in die untere Etage gebracht.

Auch Alvarados eigene Geschichte ist alles andere als konventionell. 1951 wurde sie als Linda Martinez geboren, sie lebte damals in einem Zwei-Zimmer-Haus aus Lehm außerhalb von Albuquerque, New Mexico. Fließendes Wasser gab es keines – nur wenn die Gegend wie jeden Sommer von Überschwemmungen heimgesucht wurde. „Ich dachte damals, dass jeder die Sommerferien beim Roten Kreuz verbringt“, scherzt sie.

Alvarados Eltern waren es gewohnt, sich alles selbst aufzubauen. Ihr Vater, ein protestan­tischer Pfarrer aus Mexiko, arbeitete im Sicherheitsdienst der Sandia National Laboratories. Das Lehmhaus hat er selbst errichtet. Ihre Mutter sagte ihr damals immer wieder wie ein Mantra vor: „Empieza pequeño, pero piensa muy grande“ – fang klein an, aber denke sehr groß.

Beiden Elternteilen war es sehr wichtig, ihre Tochter von Arbeiten im Haushalt möglichst fernzuhalten, damit sie sich auf eine akademische Ausbildung konzentrieren konnte. Als jüngstes von sechs Kindern und als einziges Mädchen ­wurde von ihr erwartet, mit den Brüdern Sport zu treiben. „Hast du sechs Kinder, hast du ein Team“, pflegte der Vater zu sagen. Als ein Highschool-Trainer Alvarado mitteilte, dass Mädchen nicht im Hochsprung antreten können, forderte ihre Mutter eine Änderung des Regelwerks. Alvarado gewann daraufhin nicht nur den Hochsprung­bewerb, sondern auch die Auszeichnung als Sportlerin des Jahres für Leistungen in vielen Sportarten, darunter Softball.

Diese Körperlichkeit veranlasste Alvarado zu einem entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer Karriere im Baugewerbe: Während sie als Stipendiatin am Pomona College in Kalifornien Wirtschaftswissenschaften studierte, lehnte sie es ab, in der Bibliothek oder der Cafeteria zu arbeiten; sie bat stattdessen darum, bei der Gartenarbeit mitmachen zu dürfen. Ihre Begründung damals: „Ich muss nicht diese schmerzenden Mädchenschuhe tragen, stattdessen werde ich braun, und Sie bezahlen mich dafür, dass ich mit all diesen alleinstehenden Männern arbeite.“

Man sagte mir, dass ich keine Chance hätte, weil ich hispanischer Abstammung und eine Frau sei.

Die Erfahrung ihrer neuen Arbeit öffnete Alvarado schließlich nach ihrem Abschluss 1973 die Tür zu einem Job bei einem Bauunternehmen in Los Angeles. Dabei bediente sie sich einer kleinen List: Sie glaubt, dass sie den Termin für das Vorstellungsgespräch bekam, weil sie auf der Bewerbung nur ihre Initialen verwendete, um ihr Geschlecht zu verschleiern – eine Methode, die sie später auch bei der Unterzeichnung von Bauangeboten anwenden sollte. Einige Mitglieder der ausschließlich männlichen Bau­trupps nannten sie „Spic Chick“, an den Wänden der Baustellen-WCs fanden sich oft unangemessene Zeichnungen einer nackten Alvarado. Zu sehen, wie aus ersten Entwürfen Gebäude entstanden, gefiel ihr jedoch, und sie stellte fest, darin ihre Berufung gefunden zu haben.

Daraufhin belegte sie zahlreiche Kurse in Kalkulation, Vermessung und computergestützter Planung und zog mit ihrem Mann nach Colorado (ihr erstes Date hatten die beiden bei einem Spiel der Dodgers gehabt). 1976, mit 24, gründete Alvarado ihr eigenes Unternehmen, weil sie glaubte, ihre Computerkenntnisse könnten ihr einen Vorteil verschaffen. „Man sagte mir, dass ich keine Chance hätte, weil ich hispanischer Abstammung und eine Frau wäre“, erinnert sie sich. „Aber ich dachte mir, wenn man zwei negative Zahlen multipliziert, erhält man eine positive.“ Nachdem ihr sechs Banken einen Kredit verweigert hatten, lieh sie sich 2.500 US-$ von ihren Eltern – dass diese gegen die Sicherheit ihres Hauses einen Kredit mit 24 % Verzinsung aufgenommen hatten, verschwiegen sie ihr bis zur Rückzahlung. Wie ihre Mutter gepredigt hatte, fing sie klein an, stellte Dachrinnen her, baute Bürgersteige und Bushaltestellen. Schließlich erhielt sie ein Darlehen von der Small Busi­ness Adminis­tration. Der große Durchbruch kam dann 1983: Joy Burn, Gründerin der Women’s Bank of Colorado und wie Alvarado eine Frau, die die Regeln änderte, beauftragte sie mit der Renovierung des 17-stöckigen Burnsley-Hotels mit 80 Zimmern in der Innenstadt von Denver.

1992 kam es zu einer großen Bewährungsprobe, als zwei Metallarbeiter von Alvarado Construction bei der Arbeit an einem Büroturm am Flughafen von Denver in den Tod stürzten. Während die Arbeitsschutzbehörde OSHA den Vorfall untersuchte, wurden alle Arbeiten unterbrochen; Alvarado musste zu dieser Zeit viele Konkurrenten abwehren, die die Gunst der Stunde nutzen und den Auftrag übernehmen wollten. „Ich musste damals hart arbeiten, um meinen Ruf wieder­herzustellen“, sagt sie.

Heute hat ihr Bauunternehmen Nie­derlassungen in Arizona, Kalifornien, Colorado und New Mexico und baut Projekte für Kaiser Permanente, Xcel Energy und PG & E. So entschlossen Alvarado auch war, ein Bauunternehmen aufzubauen, wäre sie 1984 doch fast in einen völlig anderen Bereich gekommen: Sie entwickelte damals ein Einkaufs­zentrum in einem heruntergekommenen Teil von Denver und versuchte, eine bekannte Fast-Food-Kette anzuwerben. Taco Bell, damals im Besitz von Pepsi Co, zeigte sich angesichts des Standorts nicht interessiert, stimmte aber der Eröffnung eines Franchise­betriebs zu; Alvarados Mann Robert übernahm die Leitung. Als Taco Bell einige Jahre später anbot, das Geschäft zurückzukaufen, lehnte das Paar ab und bat stattdessen um weitere Standorte.

Heute ist Palo Alto mit einem Jahresumsatz von 325 Millionen Dollar auf Platz 28 der größten Franchise-Restaurantbetreiber des Landes zu finden. Der ehemalige CEO des Franchisegebers Yum!, Greg Creeg, sagt, dass sich Alvarado den Respekt der anderen Franchisenehmer verschafft hat, indem er nicht nur Erfolg hatte, sondern sein Wissen auch mit ihnen teilte und sie beriet.

Neben einer deutlichen Verkürzung der Bauzeit neuer Restaurants scheuen die Alvarados nicht davor zurück, immer wieder innovative Konzepte zu testen, von digitalen Bestellstationen bis hin zu neuen Restaurantformaten. So bauten sie einen Prototyp des Taco-Bell-Cantina-Konzepts, in dem Bier und Premium-Menüartikel verkauft werden und sich Gäste Sportüber­tra­gungen ansehen können. Das neue, familienfreundliche Konzept soll zum Verweilen ein­laden. Zusätzlich wird mit dem Konzept eines neuen Taco-Bell-Ablegers mit dem Namen Live Más und der Umwandlung von Schiffscontainern in Pop-up-Taco-Bell-Restaurants experimentiert.

Die Aufgabenteilung in der Familie Alvarado ist klar. Während der älteste Sohn Rob, Absolvent der Hotel- und Restaurantfachschule in Cornell und mit MBA und Abschluss in Jura ausgestattet, mittlerweile von Robert die Leitung der Restaurantbetriebe übernahm, ist Linda nach wie vor für das zuständig, was sie kennt und liebt – den Kauf und die Bebauung von Grundstücken.

Text: Maria Abreu, Christopher Helman, Forbes US
Fotos: Theo Stroomer für Forbes

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.

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