Vom Adrenalin-junkie zum Multimillionär

Er ist Unternehmer, Investor und hoch bezahlter Vortragsredner: Jochen Schweizer wurde mit dem Verkauf von Gutscheinen vermögend. Bald feiert er seinen 70. Geburtstag, doch gelassener will es der ehemalige Stuntman keinesfalls angehen: Mit einem neuen  Mega­projekt will er sich nun einen Lebenstraum erfüllen.

Ein Vormittag Anfang November im Süden von ­München. Jochen Schweizer steht in seinem Büro in der nach ihm benannten Erlebnis-Arena nahe der Autobahn­ausfahrt Taufkirchen-Ost und blickt auf die Baustelle gegenüber. Während sich der Nebel ­lichtet, graben Bagger das oberbayerische Erdreich um, Laster transportieren Schutt ab. Hier entsteht das Fundament eines Großprojekts: ein Businesshotel und ein Bürokomplex, verbunden mit einer „spanischen Treppe“, die wie das Original in Rom südeuropäisches Flair schaffen soll. Eine in sich geschlossene Erlebniswelt soll es werden, ein „Jochen Schweizer Quartier“, wo Menschen arbeiten, essen, schlafen, konferieren und beim Firmenevent mit einer individuell angepassten Dosis Adrenalin bespaßt werden: im Klettergarten, beim Indoor-Surfen oder Indoor-Skydiving etwa.

„Ist das nicht geil?“, fragt Multiunternehmer ­Jochen Schweizer und blättert durch die Zeichnungen des Architekten. „Es war ein Traum von mir, einen umfassenden Erlebniskosmos zu schaffen.“ Noch ist diese Vision eine Baustelle im Frühstadium, aber im kommenden Jahr stehe schon das Fundament, dann sei es bis zum Rohbau nur noch ein Katzensprung; und in zweieinhalb Jahren könne schon die Eröffnung des 100-Mio.-€-­Projekts 100-Mio.-€-Projekts gefeiert werden. Typisch Schweizer: Er denkt schon wieder drei Schritte voraus, sieht unausgeschöpfte Potenziale, die sich formen und realisieren lassen, sofern man die nötige ­Willenskraft aufbringt. Um diese Botschaft drehen sich auch seine Motivations­vorträge für Firmen und Verbände, für die er als Keynote-Speaker bis zu 30.000 € bekommt.

Das Leben und Wirken des 68-jährigen Unter­nehmers und Investors lässt sich grob in drei ­Phasen einteilen: Schweizer begann seine Laufbahn als ­Extrem­sportler und Stuntman, wandelte sich dann zum Unternehmer und destilliert heute aus diesen ­Lebensphasen jene Lektionen, die er als Keynote-­Speaker weitergibt.

Jochen Schweizer wuchs in Heidelberg als Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf. Er gehörte zu den weltbesten Kajakfahrern, arbeitete in den 80er-­Jahren als Stuntman. Willy Bogner heuerte ihn für den Film „Feuer, Eis & Dynamit“ mit James-Bond-Darsteller Roger Moore an. In Drehpausen übte Schweizer aus Langeweile Bungeesprünge. Mit dem Sprung von der 216 Meter hohen Bloukrans-Brücke in Südafrika schuf er einen legendären Stunt und Werbeclip, den er mit dem Weltrekord-Sprung aus einem in 2.500 Meter Höhe kreisenden Helikopter noch übertrumpfte.

Aus den Adrenalinschüben entwickelte sich eine Businessidee. Seine erste Firma gründete Schweizer 1985 in München: eine Event- und Werbeagentur, aus der später die Jochen-Schweizer-Unternehmensgruppe hervorging. Neben der Produktion von Sportfilmen ­etablierte er Bungeespringen als neuen Trendsport.

In einem Regal in Schweizers Büro steht eine Kiste, die seinen Aufstieg zum Multiunternehmer symbolisiert. In der „Geschenkbox“ liegt ein Gutschein zum Bungee-Sprung und eine Flasche „Kleiner Feigling“, auch ein paar Fäden Bungee-Seil. Das heute herrlich analog wirkende Relikt war die Basis für das Jochen-Schweizer-Imperium. Es folgten Bungeesprunganlagen im deutschsprachigen Europa, Angebote zu neuen Funsportarten wie House-Running und Base-Flying und ein Boom um Erlebnisgutscheine. Das Jochen Schweizer Online-Portal bietet rund 2.000 Aktivitäten als individuelle Geschenkideen an, vom Töpfern in der Toskana bis zur Brauhaustour in Köln oder dem Cessna-Flug über Hamburg.

Schweizer hat einige Krisen erlebt, 2003 kam es zu einem Unfall bei einem Bungeesprung in Dortmund, ein junger Mann starb. Das Unternehmen geriet ins Schlingern, auch Schweizer persönlich setzte die Tragödie schwer zu. Mit „Willenskraft“ habe er sich zurückgekämpft, sagt er. Die dritte Phase seines Werdegangs markierte der Verkauf seines Geschenkgutscheine-Imperiums an den Medienkonzern Prosiebensat.1 – Schweizer wurde durch den Deal zum Multimillionär. Der Unternehmer hatte sich den Traum vieler Gründers erfüllt, er hat seine Innovationskraft vergoldet. Und dennoch sieht er heute den Verkauf eines Teils seines Imperiums und den damit verbundenen Namensrechten als „größten Fehler meines Lebens" an.

Bevor er darauf eingeht, will Schweizer aber noch von den zurückliegenden 48 Stunden erzählen, in denen sich alles verdichtet hat, was seinen Karriereherbst ausmacht. Schweizer lehnt sich in seinem Ledersessel zurück – wie er das als Juror in der TV-Show „Höhle der Löwen“ gerne getan hat – und startet dann eine rasante Erzählung über sein Jetset-Leben als Speaker: Von seiner Arena in München mit dem Aston Martin ab zum Flughafen, von dort per Linie nach Wien, dann anderthalb Stunden Motivationsvortrag vor einem Unternehmerverband. Danach sind die Akkus leer. Ausruhen? Kommt nicht in Frage.

Also wieder ab zum Flughafen. Dort wartet schon der Privatjet, den seine Redneragentur organisiert hat. Denn nur so schafft er es zur Betriebsversammlung eines Mittelständlers am nächsten Morgen in Niedersachsen. Dort will er über Resilienz und Veränderungsprozesse referieren. Weil er Rednerhonorare von mehreren 10.000 € aufrufen kann, ist seine Agentur natürlich gerne bereit, den Star-Referenten wie einen Fußballer des FC Bayern durch die Gegend zu transportieren. Von Osnabrück dann zurück nach München, um pünktlich zum Interview mit Forbes wieder im Büro zu sein. Bei Schweizer wirkt auch das Keynote-Speaking wie Extremsport.

Nun ist er zwar zurück in seiner Arena – in diesem in Beton gegossenen Lebenswerk gestaltet nach der Form eines Flugzeugpropellers – aber in Gedanken geht es schon wieder los, in den hohen Norden, in seine norwegische Hütte, in der er sein jüngstes Buch „Die Begegnung“ geschrieben hat. In einer stürmischen Nacht am Polarkreis, mitten in der Corona-Pandemie, so schmückt er aus, kam ihm die Idee zu seinem ersten Roman. Das Thema: Ein alter Abenteurer gibt einem jungen, an Land gewaschenen Ausreisser die wichtigsten Lebensweisheiten weiter. Schweizer sieht in dem Werk eine Verpflichtung, wie man sie aus der Mythologie kennt. Der Begriff Mentoring stammt schließlich aus der Antike, schon bei Homer bereitete sich Odysseus Sohn Telemach mit den Lektionen der Alten und Erfahrenen auf die Herausforderungen der Zukunft vor.

Ich bin seit einem halben Jahrhundert Unternehmer – und darum kann ich nicht anders, als stets Neues zu unternehmen.

Jochen Schweizer

Schweizers Leben bietet reichlich Stoff für Vorträge. Jede Rede ist individuell für jeden Kunden aufbereitet. Grenzerfahrungen wie die Überwindung der Angst beim Bungeesprung, die Freiheit des Fliegens, die Krisen als Unternehmer sind Bausteine für seine Vorträge, die sich immer neu arrangieren lassen und deren Kernbotschaften auf dem schmalen Grat zwischen Inspiration und Phrase zu verorten sind („Immer einmal mehr aufstehen, als man hingefallen ist“).

Schweizer hat einen Wertekompass entwickelt, in dem jeder online mit geringem Zeitaufwand seine persönlichen fünf Kernwerte bestimmen kann – auch dieses Tool kommt in fast jedem seiner Auftritte zur Sprache. Bei Schweizer steht die Freiheit im Werte-Ranking ganz oben. Dazu gehört Freiheit durch finanzielle Sicherheit, aber vor allem emotionale Freiheit – die Möglichkeit, das Leben nach dem eigenen Willen zu gestalten. Und gegen diesen wichtigen Wert habe er verstoßen, indem er seine Namensrechte verkaufte und damit einen Teil Selbstbestimmung aufgegeben hatte.

In Schweizers Erzählung wirkt es fast wie ein Faustischer Pakt: Er hatte sein mit mehr als 100 Mio. € bewertetes Gutscheinportal zu Geld gemacht – weil er das auf seiner Bucket-Liste abhaken wollte. Aber innerlich fühlte er sich nicht erfolgreich. Der Exit war das Resultat eines „Bullshit-Ziels“ – schließlich sei er schon vorher vermögend gewesen. Es folgte eine Sinnkrise und schließlich die Akzeptanz des Fehlers. „Ich habe mir verziehen“, sagt Schweizer und darum sei seine „emotionale Freiheit“ heute wiederhergestellt. Seine Botschaft an Unternehmer, Betriebe, seine Zuhörer: Bestimmt eure Werte. Bleibt ihnen immer treu! Brecht aus euren emotionalen Gefängnissen aus!

Aber genug über die Vergangenheit gesprochen, zurück in die Zukunft, die sich auch vor seinem Bürofenster entfaltet. Als Verfechter unternehmerischer Gestaltungsfreiheit klagt Schweizer über die zunehmende Bürokratie, die heute den Betrieben aufgebürdet werde und deren Handeln einschränken. Schweizer organisiert rund 300 Firmenevents im Jahr in seiner Arena, durch seine Vorträge ist er stets in Kontakt mit Mittelständlern – er ist nah dran an Deutschlands Unternehmern. Überall klagen sie über zunehmende Berichtspflichten und die dadurch ausufernde Verwaltung, vor allem bei den Themen Nachhaltigkeit, Ökologie und Soziales, weiß Schweizer. Doch selbst hier sieht der Unternehmer Jochen Schweizer ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial und hat eine passende Story parat.

In den vergangenen Jahren hat er sämtliche Landwirte im Umland seiner Arena besucht und mit ihnen über eine Pacht ihrer Grundstücke verhandelt. Und so gelang ihm, woran ganze Abteilungen der Großfirmen im Münchner Umland gescheitert sind, sagt er: Er konnte auf den Grundstücken in seiner Nachbarschaft eine Photovoltaik-Anlage bauen, die nun seine Arena versorgt und den Überschuss ins Münchner Stromnetz leitet. Somit ist jedes in der Arena veranstaltete Firmenevent klimaneutral. Das macht sich natürlich gut in jedem Unternehmensbericht. „Die Bürokratie-Fußfessel beim Thema Nachhaltigkeit spielt mir diesmal in die Karten", sagt Schweizer.

Wäre für Schweizer eine Karriere als Politiker denkbar? Ein Charismatiker aus der Wirtschaft, der den Kampf für die individuelle Freiheit mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein verbindet, müsste doch jede Menge Ideen haben, wie man Deutschland fit macht für die Zukunft. Aber Schweizer winkt ab, er habe kein Interesse, Politiker zu sein. Zu viel Schein und Schauspielerei würde dieser Job verlangen, die Authentizität bleibe auf der Strecke.

Hat er darüber nachgedacht, das Gutscheinportal zurückzukaufen, also seinen Fehler wettzumachen? Nein, daran habe er kein Interesse, er habe vor acht Jahren die ersten Anteile verkauft und das Unternehmen sei nun ein anderes. Zuletzt geriet das Portal und somit auch sein Name in die Schlagzeilen, nachdem ein TV-Bericht Unregelmäßigkeiten im Gutscheinsystem angeprangert hatte. Zudem wurde vor einem Jahr das Portal zusammen mit Mydays und dem Mutterkonzern Prosiebensat.1 zu einer Geldstrafe von rund 3,9 Mio. € verurteilt, nachdem die Finanzaufsicht Bafin Verstöße beim Gutscheingeschäft nachgewiesen hatte.

Schweizer blickt nach vorne und erklärt: „Wer als Krieger geboren wird, muss als Krieger sterben“. Als klassischer Unternehmer gehe er immer voran und sei bereit „im Feuer zu stehen.“ Schweizer hat zwei erwachsene Söhne, dass die nächste Generation in seinen Kosmos aus Adrenalin und Unternehmertum eintritt, sei denkbar – konkrete Nachfolgepläne gibt es aber nicht und er will auch nicht weiter darauf eingehen.

Abschließende Frage an den Unternehmer, der in zwei Jahren 70. Geburtstag feiert: Was ist das Beste am Älterwerden? Die Antwort kommt sofort: „Gar nichts.“ Dass mit dem Alter Gelassenheit kommt, sei doch Quatsch. Im Gegenteil: „Ich bin seit einem halben Jahrhundert Unternehmer. Und darum kann ich nicht anders, als stets Neues zu unternehmen." Das hat er in seinem Leben oft bewiesen. Und beweist es nun auch mit dem nächsten Großprojekt, direkt vor seinem Bürofenster.

Fotos: Thomas Dashuber

Reinhard Keck

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