Vom Südpol zum Mars

An außergewöhnliche Lebenssituationen ist die 35-jährige Medizinerin Carmen Possnig mittlerweile gewöhnt: 13 Monate verbrachte die gebürtige Kärntnerin in der Antarktis, bevor sie von der ESA zur Reserve-Astronautin ernannt wurde – und damit ihrem Traum, die erste Österreicherin im Weltall zu werden, ein Stückchen näher gerückt ist.

Am 23. November 2022 war es für Carmen Possnig endlich so weit: Die ESA verkündete in Paris offiziell, dass die heute 35-jährige Kärntnerin als Ersatz-Astronautin Teil der 17-köpfigen ESA-Astronautenklasse 2022 werden sollte. Possnig hat sich unter mehr als 22.000 Bewerbern durchsetzen können und ist somit die erste Österreicherin, die ins Weltall fliegen könnte. „Der Be­werbungsprozess hat fast zwei Jahre gedauert und war eigentlich dauerstressig“, erzählt die Kärnt­nerin, sichtlich erleichtert, diese Aufregung mittlerweile hinter sich gebracht zu haben – denn der Weg für Possnig zur Astronautin war nicht nur ein langer, sondern auch ein außergewöhnlicher.

Carmen Possnig studierte nach ihrem Schulabschluss Medizin in Graz. Dort entdeckte die Kärntnerin auch ihre Leidenschaft für das Weltall und die medizinischen Konsequenzen, die eine Reise dorthin haben kann. So schrieb sie ihre Diplomarbeit über Kurzarmzentrifugen und ihre therapeutische Wirkung für Astronauten. Diese ersten Erfahrungen als Weltraummedizinerin sollten nicht ihre letzten gewesen sein, denn kurz nach ihrer Diplomarbeit erfuhr Possnig von den Projekten der ESA auf der Concordia-Station in der Antarktis. So bewarb sie sich nach ihrer Ausbildung zur Allgemein­medizinerin für eine Forschungsstelle an der Concordia-Station. Die ESA sucht jedes Jahr einen Arzt oder eine Ärztin aus den Mitglieds­staaten, der bzw. die Experimente in der Antarktis durchführen möchte. Possnig war die auserwählte Ärztin und sollte ihre Reise an einen der entlegensten Orte der Welt antreten. Dies war ihr erster Schritt in ihrer Laufbahn als Astronautin.

Warum forscht die ESA überhaupt in der Antarktis?
Carmen Possnig: Das hat viele geografische Gründe. Die Concordia-Station liegt auf 3.200 Meter Seehöhe und ist knapp 950 Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Das macht diesen Ort nicht nur zu einem der kältesten der Welt, mit Temperaturen von bis zu minus 80 Grad Celsius im Winter, sondern auch zu einem der abgelegensten. Aufgrund der Kälte und der Dunkelheit sind Anreisen und Abreisen aus der Concordia-Station nur im Sommer möglich. Im Winter waren wir völlig auf uns alleine gestellt. Hinzu kommt, dass im Sommer die Sonne fast 24 Stunden scheint und es im Winter nahezu komplett dunkel ist. Die Dunkelheit im Winter ähnelt sehr den Lichtverhältnissen in einem Raumschiff, wo man das Tageslicht eigentlich auch nie zu Gesicht bekommt; aber auch die dünne Atmosphäre mit einem niedrigen Sauerstoffgehalt, die dunklen Nächte im Winter, die Ab­geschiedenheit und Isolation mit einer kleinen Crew und die dadurch entstehenden körperlichen und psychischen Anstrengungen machen das Leben auf der Concordia-Station zu einer nahezu perfekten Simulation einer Mars- oder Mondstation.

Was war für Sie persönlich die größte Herausforderung am Leben auf der Concordia-Station?
Das Schlimmste war der Schlaf­mangel. Aufgrund der ständigen Dunkelheit, der extremen Trockenheit der Luft und der Höhe ­hatten viele Menschen teilweise keine ­Tiefschlafphasen mehr. Das lässt die Nerven natürlich blank liegen. Dennoch – oder gerade deswegen – waren es für mich die perfekten Verhältnisse, um meine Forschungsarbeit weiterzuführen. Im Zuge dessen habe ich die Auswirkungen auf den Körper und die Psyche in extremen Lebenssituationen erforscht.

Hat Ihnen die Erfahrung auf der Concordia-Station bei Ihrer ESA-­Bewerbung geholfen?
Ich denke schon. Es hat mir sicher geholfen, dass ich eine Isolations­situation schon einmal erleben durfte, ungefähr wusste, wie ich darauf reagiere, und trotzdem bereit war, es wieder zu machen. Natürlich war es auch ein Vorteil, dass ich eine Allrounderin bin, sprich, es ist gut, wenn man viele verschiedene Fähigkeiten hat und alles ein bisschen kann. Als Astronaut ist man nämlich zum einen Forscher oder Labortechniker, aber zum anderen auch Installateur und Koch. Man ist also der- oder diejenige, der oder die gleichzeitig die Solarpaneele und das Klo reparieren muss.

Auf der Concordia-Station kann es im Winter zu Temperaturen von minus 80 Grad Celsius kommen.

Als Reserve-Astronautin wird ja ­hoffentlich bald auch ein Weltraumflug für Sie anstehen. Steht da die Internationale Raum­station auf Ihrer To-do-Liste?
Hoffentlich, ja. Die Internationale Raumstation soll ja „nur“ noch bis ungefähr 2030 in Betrieb sein. Danach sollen Teile der ISS für die kommerzielle Raumfahrt genutzt werden. Es gibt viele Firmen, wie zum Beispiel Axiom Space, die Überreste der ISS verwenden wollen, um damit ihre eigene Station aufzubauen. Diese wäre dann einerseits für die Forschung und anderer­seits auch für den Tourismus und die Öffentlichkeit zugänglich.

Wie ist Ihre Meinung zum Weltraumtourismus? Denken Sie, dass eine Reise ins All von vielen ­vielleicht unterschätzt wird?
Auf jeden Fall. Als Weltraumtouristin oder privater Besucher ist man meistens nur ein paar Tage oder ­Wochen im Weltall. Dabei kommt es zu dem Problem, dass der Wechsel von der Schwerkraft in eine schwere­lose Umgebung in den ersten Tagen extrem anstrengend für den Körper ist, weil das Blut plötzlich nicht mehr in den Beinen gebraucht wird und sich vermehrt im Kopf ansammelt. Das kann re­la­tiv unangenehm werden. Hinzu kommt dann auch die sogenannte Space Motion Sickness, die sich ­ähnlich anfühlt wie seekrank zu sein – also auch nicht besonders ­angenehm.

Bietet der Weltraumtourismus ­dennoch Vorteile?
Ja, auf jeden Fall. Astronauten sind ja meistens sehr fit und ­wurden ­jahrelang für die Verhältnisse im Weltraum trainiert. Wenn jetzt vermehrt Zivilisten ins All geschickt werden, vergrößert sich für Forscher wie mich die Probandengruppe und wir können so beobachten, was die Schwere­losigkeit und die Isolation mit un­trainierten ­Menschen machen. Solange also Weltraum­tourismus auch für Forschungs­zwecke genutzt wird, sehe ich, ­wissenschaftlich betrachtet, auch Vorteile. Natürlich muss man aber auch aus medizinischer Sicht beachten, dass eine Weltraumreise vor allem für ältere Menschen mit Herzproblemen zu großen ­Risiken führen kann.

Unter anderem plant die ESA ja auch, im Zuge der Artemis-­Missionen wieder Astronauten auf den Mond zu schicken.

Welche Erkenntnisse erhofft man sich von diesen bemannten Mondfahrten?
Wir wollen auf dem Mond ­lernen, wie man zukünftige Long-­Distance-Weltraumfahrten machen kann. Praktisch gesehen ist es also das Ziel, auf dem Mond eine Art Zwischenstation zu bauen, von der dann längere Raumfahrten, beispielsweise zum Mars, unternommen werden können. Ganz nebenbei könnte auf einer bemannten Mondstation das Universum wunderbar erforscht werden, weil wir dort keine Atmosphäre haben, die interferiert. Außerdem ist es natürlich interessant, sich den Mond selbst anzuschauen; vielleicht entdeckt man ja verborgenes Wassereis oder sogar Spuren von Leben. Die Artemis-Missionen sind also ein essenzieller Teil unserer zukünftigen Projekte im All.

Die Concordia-Station liegt auf 3.200 Meter Seehöhe und ist knapp 950 Kilometer von der nächsten Küste entfernt.

Vom Mond zum Mars: Wann ist denn die erste Marsreise geplant? Und würden Sie mitfliegen, wenn Sie die Chance dazu bekommen?
Die Marsreise kommt wahrscheinlich schneller als gedacht. Laut Plan sollte der erste Europäer in den 2040er-Jahren auf dem Mars landen. Dennoch gibt es noch viele, vor allem medizinische Fragezeichen rund um die Marsfahrt. Wenn aber bis dahin Lösungen für diese Unklarheiten, die mit einer Marsreise einhergehen, gefunden ­werden, würde ich sehr gerne mitfahren, auch wenn es bedeuten würde, die Erde drei Jahre lang nicht zu sehen.

Welche Auswirkungen hat denn eine so lange Reise wie jene zum Mars auf den menschlichen Körper?
Die drei größten Hindernisse sind meiner Meinung nach die Auswirkungen auf die Augen, die Psychologie und die Gefahren rund um die Weltraumstrahlungen. Bei der Psychologie kann man aber, denke ich, mittels eines strengen und ­peniblen Auswahlverfahrens recht gut verhindern, dass es zu ­groben ­zwischenmenschlichen ­Problemen kommt oder die Astronauten in ­Panik geraten, wenn hinter ihnen plötzlich die Erde verschwindet. ­Bezüglich der Strahlung können wir nicht genau sagen, was über ­einen so langen Zeitraum die Auswirkungen auf den menschlichen Körper sind. Auf der Erde können wir recht gut testen, wie man sich kurzfristig gegen große Mengen an Strahlung schützt; kommt es aber, wie bei der Marsreise, zu einer so langen Strahlungsexposition, wissen wir nicht ganz, was mit dem menschlichen Körper passieren kann oder wie man diese verhindert. Da braucht es auf jeden Fall eine gute Ausrüstung, damit die Sicherheit der Astronauten gewährleistet werden kann. Ein weiteres Problem, an dem ich selbst gerade forsche, ist die durch lange Aufhalte im All entstehende Weitsichtigkeit bei Astronauten. Diese Krankheit wurde erst im letzten Jahrzehnt entdeckt und kann natürlich große Auswirkungen auf lange Raumfahrten haben. Wir beobachten dieses Phänomen schon bei Aufenthalten, die ein paar Monate dauern, daher gilt es, vor einer bis zu drei Jahre dauernden Marsfahrt unbedingt zu klären, woher diese Weitsichtigkeit kommt und wie man sie am besten aufhalten kann.

Was würden Sie jungen Menschen raten, die selbst Astronauten werden wollen?
Es ist zum einen wichtig, etwas zu finden, was man wirklich gerne macht, damit man auch gut darin ist. Zum anderen ist es sicherlich auch gut, Erfahrungen zu sammeln, die den eigenen Körper an seine mentalen und physischen Grenzen ­bringen; etwa Sportaktivitäten wie Bergsteigen, Tauchen oder Wander-­Expeditionen. Aber vor allem ist es wichtig – wie bei so vielen ­Dingen im Leben –, sich selbst gut kennenzulernen und zu überprüfen, ob man allerhand Unbequemlichkeiten gut verträgt.

Fotos: P. Sebirot, Marco Buttu, Cyprien Verseux

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