Warum wir nach Corona die 4-Tage-Woche brauchen

Ein Gastkommentar von Björn Waide, CEO von Smartsteuer.

An sechs Tagen in der Woche arbeiten: Noch bis Mitte der 1950er Jahre war das in Deutschland ganz normal. Heute ergeben in der Regel fünf arbeitsame und zwei freie Tage eine Woche. Historisch betrachtet arbeiten wir spätestens seit der Moderne immer weniger – bei gleichem oder steigendem Lebensstandard.

Heute befinden wir uns abermals in einer Phase, in der wir einschneidende Veränderungen in der Art und Weise, wie wir wirtschaften und arbeiten, erleben – und deshalb die Debatte über die 4-Tage-Woche führen müssen.

Die Coronakrise ist hierfür nicht der Grund, sondern bloß eine Art Brennglas: Die Pandemie stellt kurz- und mittelfristig aus wirtschaftlicher Sicht zunächst einen enormen Schock für Unternehmen dar. Gleichzeitig befeuert sie die grundlegenden Verschiebungen, die bereits seit Jahren zu beobachten sind. Wir erleben, wie digitale, post-industrielle Wertschöpfung die Champions vom alten Schlag ablöst: Die wertvollsten Unternehmen der Welt verschiffen keine tonnenschweren, stählernen Erzeugnisse mehr, sondern produzieren und vertreiben skalierbare, immaterielle Güter.

Björn Waide
... ist CEO von Smartsteuer. Gemeinsam mit seinem Team digitalisiert er die deutsche Steuererklärung. Er prägt mit Beiträgen zu Themen wie Selbstwirksamkeit, agilem Arbeiten sowie moderner Führung zudem die Diskussion zu Management und Bildung im digitalen Zeitalter. Smartsteuer selbst arbeitet seit September 2019 ohne Hierarchien und macht seitdem alle Mitarbeiter zu Führungskräften.

Waides Weg zum Geschäftsführer eines Anbieters für Online-Steuererklärungen war dabei keineswegs vorgezeichnet. Als Jugendlicher begeisterte er sich für Elektrotechnik, schwenkte nach dem Abitur auf Informatik um und besuchte als Erster in seiner Familie eine Universität. Sein Studium schloss Waide als Diplom-Informatiker ab und begann seine Karriere als Produktmanager bei einem IT-Dienstleister. Als Software-Ingenieur arbeitete er anschließend für das IT-Beratungsunternehmen Capgemini sd&m und wechselte 2009 zu XING, wo er – bis zur Übernahme der CEO-Position bei Smartsteuer im Jahr 2013 – unter anderem als Director Product Management das B2C-Geschäft verantwortete.

Und wie sich die globale Wertschöpfung verändert, so verändert sich auch unsere Arbeit. Die zunehmende Automatisierung einfacher, aber auch kognitiv anspruchsvoller Vorgänge indiziert einen abnehmenden Bedarf an menschlicher Arbeitskraft. Gleichzeitig zeigt sich: Je schnelllebiger und vielstimmiger unsere Arbeitswelt wird, desto wichtiger ist das bewusste Abstandnehmen von ihr. Denn – die vor allem für Wissensarbeiter so essentielle – Kreativität braucht Pausen.

Weniger Arbeitszeit steigert Produktivität

Wenn also einerseits der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft langfristig abnimmt und andererseits die veränderte Qualität der Arbeit ein Mehr an Nicht-Arbeit erfordert, um bestmögliche Arbeitsergebnisse zu produzieren, ist klar: Wir brauchen die 4-Tage-Woche. Und das nicht nur, weil sie den veränderten Präferenzen von und Arbeitsanforderungen an Arbeitnehmern Rechnung trägt, sondern weil sie aus unternehmerischer Sicht mindestens ebenso sinnvoll ist.

Microsoft etwa hat die 4-Tage-Woche bei gleichem Gehalt mit 2.300 Beschäftigten in Japan getestet – mit großem Erfolg: Die Produktivität der Beschäftigten stieg um satte 40%. Die Reduzierung der Arbeitszeit ist somit eine durchaus unternehmerisch-weitsichtige Antwort auf veränderte Rahmenbedingungen.

Dazu kommt: Mit der zeitlichen – und räumlichen – Entgrenzung von Arbeit verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeiten und Nicht-Arbeiten immer weiter. Wir checken samstagmorgens in der Schlange beim Bäcker unsere Mails, fassen beim Sonntagsspaziergang einen wichtigen Gedanken zur Lösung eines beruflichen Problems. Weil unser Geist – anders als eine Maschine – keinen Aus-Knopf, sondern immer öfter nur den „Always on”-Modus kennt, haben wir de facto längst eine 7-Tage-Woche. Das kann auf Dauer nicht gesund sein. Deshalb müssen wir uns mit der 4-Tage-Woche auch vor dem kollektiven Burnout schützen.

Gastkommentar: Björn Waide

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