Was KI „Made in Europe“ braucht

Wann wird es ein europäisches Google geben? Die Frage ist aktuell eng verknüpft mit der Debatte um den Umgang mit KI. Der Vergleich mit den Tech-Riesen, die in den USA oder gar in China entstanden sind, spornt die EU dabei an – aber bisher sind ihre Initiativen ohne Durchschlagskraft. Worin liegt die Lösung?

KI ist die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts und mindestens so wegweisend wie ihrerzeit Software oder seinerzeit das Internet. Das haben zuerst die Forscher und Entwickler erkannt, ehe Gründer und Manager angefangen haben, die Technologie in Anwendungen zu verproben und zu optimieren. Und zuletzt hat auch die Politik begonnen, sich dem Thema anzunehmen. Im Falle der EU und ihren Mitgliedern bedeutet das vor allem: erst regulieren, dann die technischen Möglichkeiten ausloten.

Dieses Prinzip zieht sich beispielsweise durch das Anfang des Jahres von der EU-Kommission vorgestellte „Weißbuch zur künstlichen Intelligenz”. Darin beweist die EU einerseits ihre Kompetenz und ihr Verantwortungsbewusstsein, weil der Abschnitt zum „Ökosystem für Vertrauen” recht detailliert auf Risiken und Möglichkeiten zur Regulierung eingeht. Andererseits ist der Part zum „Ökosystem für Exzellenz”, in dem Förderpotenziale aufgezeigt werden, nur marginal zukunftsgewandt.

Mit Blick auf den ungebremsten Aufstieg der amerikanischen und chinesischen Unternehmen, die heute unseren Umgang mit Technologie bestimmen, dürfte klar werden: Sofern Europa nicht schnell umdenkt und handelt, werden europäische (Ethik-)Standards bei KI keine Chance haben. Denn: Dass sich nicht-europäische Player diese Grundsätze diktieren lassen, ist unwahrscheinlich.

Transfer von KI ist das A und O

Wie kann auch trotz der europäischen Sicherheitsbedürfnisse und dem dadurch geprägten Grundverständnis von KI eine Aufholjagd oder gar das Einnehmen der Vorreiterrolle gelingen?

Dr. Rasmus Rothe
... ist ein international anerkannter KI- und Computer-Vision-Experte sowie Co-Gründer und CTO des Venture Studios Merantix, das den Transfer von KI-Forschung zur Anwendung in der Wirtschaft forciert. Rasmus Rothe ist zudem Gründungs- und Vorstandsmitglied des KI Bundesverband e.V., wo er u. a. Impulse für die Umsetzung und Weiterentwicklung der KI-Strategie des Bundes liefert. 2019 wurde er in der „30 under 30”-Liste des Magazins Forbes sowie in der „40 unter 40”-Liste des Magazins Capital geführt. Rasmus Rothe hat Computer Science in Oxford, Princeton und Zürich studiert. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind mehrfach ausgezeichnet und bereits mehrere hundert Male zitiert worden.

Zunächst einmal: Europa steht sehr gut da, wenn es um die Ausbildung von technisch versierten Talenten geht. Forschungsinstitute wie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) oder technische Universitäten wie die ETH in Zürich sind Hotspots der internationalen Forschungselite. Auch die industriellen Grundlagen, die maßgeblich durch die Automobilbranche gelegt wurden, sind nicht die schlechtesten.

Woran es in Europa noch mangelt, ist der Transfer von der Forschung zur Anwendung. Große – auch nicht-europäische – Konzerne locken Talente in ihre Abteilungen und verhindern damit den wirksamsten Weg, um KI-basierte Produkte oder Services zu schaffen: die Gründung von Start-ups.

Denn in den USA und in China wird die KI-Innovation von Start-ups getrieben – in Europa scheint man das noch nicht vollends erkannt zu haben. Start-ups bilden die Brücke zwischen der Entdeckung und Entwicklung von disruptiven Technologien hin zur Lebenswelt der breiten Bevölkerung. Es liegt in ihrer Natur, dass Entwicklungsprozesse in Start-ups im Vergleich zu Konzernen schneller ablaufen, etwa weil Kompetenzgerangel oder Innenpolitik ihre Arbeit nicht verlangsamen. Das macht sie so wertvoll für den schnellen Transfer.

Disruption geht nur mit Start-ups

Seit Jahren herrscht unter den Regierungen der Konsens, dass KI- und Start-up-Förderung vor allem an Geld gebunden ist. Das ist aber nicht weit genug gedacht: Viel wichtiger ist das Forcieren des beschriebenen Transfers aus der Forschung durch explizite Bildungsangebote. Heißt: Top-Talente, die an europäischen Universitäten ausgebildet werden, brauchen vor allem elementares Wissen in Sachen Unternehmertum, um ihre Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Start-ups, die in Europa aufgebaut werden, arbeiten nach den hiesigen Standards. Sobald die technischen und unternehmerischen Möglichkeiten ausgereizt werden, fällt dann auch die Regulierung leichter. Wenn der Transfer entschlossen angegangen wird, dann lassen sich auf europäischem Grund die nächsten Googles und Alibabas aufbauen. Dazu bedarf es der Förderung der Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie – und die bilden am besten Start-ups ab.

Gastkommentar: Rasmus Rothe
Foto: Viktor Strasse

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