Weaver und der Whiskey

Mit Uncle Nearest Premium Whiskey hat Fawn Weaver die am schnellsten wachsende US-Whiskey-Marke gegründet. Nun hat die Managerin einen 50 Millionen US-$ schweren Risikokapitalfonds zur Förderung von Frauen und People of Color Spirituosenunternehmen aufgelegt. Wer ist die Frau, die einst auch die Firmengeschichte von Jack Daniel’s umkrempelte?

In einer 1988er-TV-Werbung von Jack Daniel’s werden folgende Worte gesprochen: „Lagerarbeiter haben sehr viel Zeit. Um das Beste zu erreichen, sollte man nichts tun.“ Und in einem 1995er-Spot heißt es: „Vielleicht stellen wir auch deshalb seit 1866 unseren Whiskey auf die immer gleiche Weise her.“

Fast muss man lachen, wenn man weiß, welchen Hintergrund diese Spirituosenfirma wirklich hat. Was bei der Werbung heute sofort auffällt: People of Colour sucht man dort vergebens. Erstaunlich, denn der Firmenpatron Jack Daniel hätte ohne einen schwarzen Whiskey-­Wizard namens Nearest Green wohl nie einen Tropfen gebrannt. Jenes wichtige Detail fehlt in der Historie – und so hören wir es erst von Fawn Weaver, die die Geschichte der Firma aus dem Süden der USA auf den Kopf stellte.

Sehen wir uns also die ­Le­gen­de des besagten Mannes an: Jasper Newton Daniel aka Jack Daniel wird vor 175 Jahren als zehntes Kind der Familie geboren. Die Mutter stirbt, kurze Zeit später macht sich der Vater davon. Der Junge schlägt sich bis in den Süden der USA durch und beginnt mit dem Whiskey­brennen. Jack baut also – mir nichts, dir nichts – als Waisenkind eine kleine Hütte und gründet später seine Firma.

„Smart ist der Junge, denn er gibt seinem Whiskey als Erster einen Namen – seinen. Die Leckerei füllt er in eckige Flaschen, um sich von der Konkurrenz abzuheben“, schreibt die Zeit. Feine Geschichte – nur fehlt in ihr ein sehr wichtiges Detail. Die Bestsellerautorin Fawn Weaver las vor ein paar Jahren im Urlaub in Singapur etwas über Nearest Green, den Sklaven aus Tennessee, der Jack Daniel das Whiskeybrennen beibrachte. „Es war erschütternd für mich, dass eine der wohl bekanntesten Marken der Welt zum Teil von einem Sklaven geschaffen wurde“, sagt sie.

Weaver reist nach Nashville und besucht drei Führungen der Jack-Daniel’s-Brennerei. In keiner einzigen hört sie ein Wort über Nearest Green. Statt enttäuscht abzureisen und die Dinge hinzunehmen, mietet Weaver sich ein Haus in Lynchburg und nimmt Kontakt zu Greens Nachfahren auf, von denen noch viele in der Gegend leben. Sie stöbert in Archiven und belegt, dass Green dem weltbekannten WhiskeyBaron das Destillieren beibrachte.

Der Hintergrund: „Der Sklave Nearest Green wurde immer wieder verliehen, denn die fähigen Brenner waren sehr teuer“, sagt Weaver. Damals arbeitete er für Dan Call, doch der war auch Priester und musste sich um das Jahr 1856 entscheiden: Bleibe ich Pastor – oder steige ich tiefer ins Whiskey­geschäft ein? Die Wahl nimmt ihm seine Ehefrau ab: Call steigt aus – und Nearest Green wird Chef der Destillerie. Dort war Jahre zuvor auch ebenjener Jasper Newton Daniel, also der heute weltbekannte Jack Daniel, aufgetaucht.

Zurück in die Gegenwart. Weaver findet die umgerechnet 1,27 Quadratkilometer große Farm, auf dem das Green-Daniel’s-Destillat damals reifte – und kauft sie. Dann überredet sie den Whiskey­her­steller Brown-Forman, der Jack ­Daniel’s produziert, Green flugs zum ersten „Master Distiller“ der Marke zu ernennen, was in Zeiten der un­geklärten Fragen zu „Black Lives Matter“ ein kluger Marketingschachzug sein kann.

Und obwohl kein Bild von Green existiert, lässt die Firma ein Foto von Daniel, das ihn neben einem nicht identifizierten schwarzen Mann zeigt, an die Unternehmenswand der Brauheroen hängen. Sichtbares Resultat von Weavers Arbeit: Heute taucht Nearest Green bei jeder Firmentour auf. Doch all die Erfolge, die die US-Amerika­nerin durch ihre Hartnäckigkeit erreichte, reichen Weaver nicht.

Entscheidend ist ein Plausch mit den Nachfahren des Mannes. Denn auf die Frage, was geschehen soll, um den begabten Vorfahren zu ehren, hört Weaver, dass dieser doch eine eigene Flasche Whiskey verdient habe – und so wird die neue Marke Wirklichkeit. Der unter dem Namen Uncle Nearest Green vertriebene Bourbon verkauft sich rasant – bisher gingen laut The Spirits Business mehr als 1,5 Millionen Flaschen über die Ladentische. Laut der Analysefirma IWSR ist Uncle Nearest die am schnellsten wachsende Whiskeymarke in den Vereinigten Staaten. Fun Fact: Nearest Greens Ururenkelin ist die heutige „Master Blenderin“ des neuen Whiskeys.

„Viele sehen Bourbon als Premium-Whiskey an, aber nicht den Whiskey, der in unserem Teil des Landes hergestellt wird“, sagt Weaver.

Doch was hat es mit Weavers Whiskey noch auf sich? Bei einer Blindverkostung von Dutzenden US-Whiskeys vor zwei Jahren hebt der Spirituosenguru Fred Minnick eine der drei Sorten aufs Bronzetreppchen. Und: Uncle Nearest ist der am häufigsten ausgezeichnete amerikanische Whiskey der Jahre 2019 und 2020. 2021 holt die Spirituose bei der San Francisco World Spirits Competition den zweiten Rang.

Gelobt wurde der „komplexe hochprozentige Whiskey“ mit „Aromen und blumigen Kopfnoten nach Karamell und Vanille“. Dennoch: „Wir sahen uns sofort mit Gegenwind konfrontiert, weil viele Bourbon als Premium-Whiskey ansehen, aber nicht den Whiskey, der in unserem Teil des Landes hergestellt wird“, sagt Weaver.

Stillstand ist der Tod, daher ist Gründerin Weaver nun auf der Suche nach Marken und Machern, die das Potenzial dazu haben, der nächste Erfolg zu werden. „Das bedeutet für mich, dass sie etwas aufbauen, um Wohlstand für Generationen zu schaffen“, sagt Weaver. Im Juni dieses Jahres startete Weaver den Uncle Nearest Venture Fund, einen Risikokapitalfonds in Höhe von 50 Millionen US-$ für BIPoC (Blacks, Indigenous and People of Colour).Grün­der sollen dadurch Unternehmen aufbauen können und so die Branche diversifizieren. Ein Beispiel: Geld fließt etwa in die Wiedereinführung von Sorrel, einem süßen Hibiskuslikör mit Wurzeln in der Karibik, sowie in die Equiano Rum Company, die den Namen des Ex-Sklaven Olaudah Equiano trägt. Den Risikokapitalfonds beaufsichtigt ein mehrköpfiger Vorstand. Mit an Bord ist Carolyn Feinstein, im Brotjob Chief Marketing Officer bei Dropbox.

Die Nachfrage ist so gewaltig, dass Weavers Firma zudem ein eigenes Projekt unter dem Titel „Black Business Booster Program“ startete. Denn der Grund, warum es nicht mehr Spirituosenunternehmen in schwarzem Besitz gibt, ist simpel: Es sind die Kosten für den Einstieg ins Geschäft. „Bei der Mittelbeschaffung geht es vor allem um Beziehungen“, sagt Weaver, „wer diese nicht hat, erhält kaum eine Finanzierung.“

Trotz allen Erfolgs hat Weaver mit der Angelegenheit um Nearest Green noch nicht abgeschlossen: „Ich habe seine Spur nach 1884 verloren.“ Es ist jenes Jahr, in dem Jack Daniel seine Produktion an den heutigen Standort verlegt und Green aus der Zeit und dieser Geschichte zu fallen scheint. Doch wenn ihn eine Person finden kann, dann ist das wohl Fawn Weaver.

Text: Matthias Lauerer
Fotos: Uncle Nearest Whiskey

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–21 zum Thema „Handel“.

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