Wenn Frauen brauen

LeAnn Darland und Tara Hankinson haben eine Brauerei gegründet. Dass zwei Frauen Bier herstellen, ist schon ungewöhnlich genug – dass dies inmitten einer globalen Pandemie passiert, macht die Geschichte noch spannender. Die beiden haben gut bezahlte Jobs in der Medien- bzw. Techbranche verlassen, um mit ihrer Biermarke Talea einem riesigen Konzern zu trotzen, der den globalen Biermarkt fest im Griff hat.

Der Oktober in New York ist warm genug, um noch draußen zu sitzen. An den Tischen auf dem Gehweg vor dem „Talea“ sitzen vor allem Frauengruppen. Vor ihnen stehen Käse­platten, Früchte sowie Holztabletts, auf denen jeweils fünf Gläser stehen, in jedem nur ein Schluck. Die Farbe der Getränke reicht von einem tiefen Rot über Gelbtöne bis hin zu Braun. Die Sorte „Indigo Crush“ schmeckt nach Heidelbeere, Brom­beere und Meersalz, „Pine­apple Papaya“ nach Papaya, Ananas und Mango. Die Gäste probieren sich durch die unterschiedlichen Biersorten, die in der kleinen New Yorker Brauerei Talea entworfen und gebraut wur­den. Das Bier will Menschen über­zeugen, soll es doch Leuten schmecken, die eigentlich kein Bier mögen. „Wir brauen für Frauen“, sagen die beiden Gründerinnen Tara Hankinson und LeAnn Darland. Die beiden 35-Jährigen sitzen zum Forbes-­Interview an einem der Tische in ihrem Lokal; der Name Talea ist eine Kombina­tion aus den Vornamen der beiden – Tara und LeAnn. Sie seien eigentlich immer hier, sagen sie.

Der große Raum, in dem wir die beiden Brauerinnen treffen, hat hohe Decken, durch die Glasfront dringt viel Licht. Die Bar an der einen Seite des Raums ist blau gekachelt, auf den Tischen stehen Pflanzen; das Ganze sieht aus wie ein modernes New Yorker Loft. Die Brauerei liegt im gleichen Gebäude, gleich hinter dem Schankraum. Taleas Jahresproduktion beträgt rund 1.500 Barrel, das sind sind 217.530 Liter. In ihren Kesseln brauen Tara und LeAnn 15 verschiedene Sorten.

Damit treten sie in einen globalen Markt ein. Er wird von einem Konzern dominiert: Anheuser Busch Inbev (AB Inbev). 2020 produzierte das belgisch-amerika­nische Unternehmen 5,3 Millionen Hektoliter und generierte 46,8 Milliarden US-$ Umsatz. Der zweitgrößte Spieler auf dem US-Markt ist Molson Coors mit 10,6 Milliarden US-$ Umsatz. „Die Konzentration im Markt ist hoch“, sagt Bart Watson, Analyst bei der Brewers Association, einem Verband für kleine und unabhängige Brauereien. AB Inbev und Molson Coors halten zusammen etwa 65 % des US-amerikanischen Biermarkts. Global gesehen sind auch die Unternehmen Heineken, Carlsberg sowie China Resources / Snow Breweries vorne mit dabei.

Doch die Fusion von Anheuser Busch und Inbev zum Megakonzern im Jahr 2008 war auch die Geburt einer Bierrebellion. Trinker und Brauer begannen gleichermaßen, Wörter wie „Bewegung“, „Renaissance“, „Rebellion“ und „Revolution“ zu verwenden, um Amerikas hand­werkliche Brauereikultur zu beschreiben – das Craft-Brewing. Mikrobrauereien schossen wie Pilze aus dem Boden, die lokale Nische war lange der einzige Schutz vor den Großbrauereien, denn ein Heimat­gefühl können globale Konzerne nicht bieten.

„Big Beer“ wehrt sich und kaufte in den letzten Jahren systematisch kleinere Craft-Brauereien auf. AB Inbev hat in einem sechsjährigen Einkaufsrausch zehn Unternehmen geschluckt, zwischenzeitlich über­trafen die Verkäufe der von AB Inbev erworbenen Craft-Brauereien die der größten unabhängigen des Landes. Der weltgrößte Bierhersteller war global auf einmal auch das größte Craft-Beer-Unternehmen und dominierte den 26 Milliarden US-$ schweren US-Markt für Craft Beer.

„Wir wollen nicht, dass uns nur Bier-Nerds kennen“, sagen die Gründerinnen von Talea über ihre Markenstrategie.

„Viele Konsumenten wissen gar nicht, dass ihr Bier nicht mehr von der lokalen Brauerei, sondern von einem Massenproduzenten gebraut wird“, sagt Watson. Deswegen vergibt die Brewers Association inzwischen ein Siegel; das Symbol ist eine umgedrehte Flasche – nur „echte“ Craft-Brauereien bekommen es. So hätten auch kleine Brauereien wie Talea eine Chance, zu bestehen, so Watson. Richtig schwer hätten es hingegen mittelgroße Brauereien, die weder mit den Riesen konkurrieren können noch den lokalen Reiz kleiner Marken haben.

Um neue Kundengruppen zu erschließen, setzt man auf Nicht- Biertrinker. „Frauen sind ein un­angetasteter Markt, was Bier betrifft“, sagt Tara Hankinson. Laut Nielsen ist der durchschnittliche Craft-Beer-Trinker überwiegend männlich und zwischen 21 und 34 Jahre alt. Laut einer Umfrage von Gallup, Consumption Habits, trinken 54 % der Amerikaner am liebsten Bier, bei den Frauen sind es nur 23 %; sie trinken eher Wein.

Taleas Geschäftsmodell ist breit aufgestellt – neben der Ausschank wird das Bier auch an die Gastronomie und den Einzelhandel verkauft. Vor allem im gewerblichen Bereich lässt sich viel Bier auf einmal absetzen, doch im Schankraum sind die Margen besser: Bis zu 92 % werden hier mit dem Bier verdient, sagt Darland. Ein Keg, also ein kleines Fässchen, verkauft Talea um 250 US-$ an Bars in Manhattan, im Supermarkt sind es 180 US-$ im eigenen Schankraum jedoch 1.700 US-$ Umsatz. 2020 schrieb Talea Verlust, vor allem, weil das Brauen während der Bauzeit ausgelagert wurde und lediglich Einnahmen aus dem Vertrieb an den Einzelhandel erzielt wurden. In den ersten zwölf Monaten seit der Eröffnung im März konnten drei Millionen US-$ umgesetzt werden.

Tara Hankinson und LeAnn Darland teilen nicht nur ihre Lei­denschaft für Bier, sondern offenbar auch eine für unternehmerisches Risiko. Sie unterzeichneten den Mietvertrag für Talea im November 2019 – beide wurden kurz danach schwanger, kündigten aber dennoch ihre Jobs, um ihr erstes Bier zu verkaufen. Damals boten sie ihren Kunden die Sorte „Sun Up“ an, ein trübes, cremiges India Pale Ale mit Milch­zucker, das nach Vanillemarsh­mallows schmeckt. Es ist bis heute Darlands Lieblingsbier. Gleichzeitig lief die erste Finanzierungsrunde, die das Duo über Freunde und Verwandte organisierte. Sie sam­melten 2,1 Mil­lionen US-$ von 100 kleineren Investoren ein, eröffnet wurden das Restaurant sowie der Schankraum im März 2021. Die beiden Gründerinnen haben je 50.000 US-$ investiert.

Der „Weg zum Bier“ war bei beiden ein langer. Hankinson hatte eine leitende Position im Bereich Customer Experience Strategy bei der New York Times, bevor sie in die Bierbranche kam, Darland war im Bereich Finance bei Google tätig. Beide wechselten ungefähr zur gleichen Zeit zum auf Bier fokus­sierten E-Commerce-Unternehmen Hopsy, wo sie einander kennen­lernten. „Wir waren die einzigen beiden Frauen in der Führungs­ebene und sind oft gemeinsam mittags essen gegangen“, erzählt Hankinson. Dabei entdeckten sie, dass sie einen ganz ähnlichen Traum hatten: Bier.

Darland hegte diese Leidenschaft schon seit ihrer Zeit bei der US Navy, wo sie in San Diego stationiert war, als dort Craft Beer boomte: „San Diego war definitiv ein Hotspot, ich war in vielen Schankräumen und habe mich in die Bier­kultur verliebt.“ Hankinson kommt aus einer Winzerfamilie, sie wuchs in der Gastronomie auf; doch sie ging in die andere Richtung und fing an, Bier zu Hause in ihrer Küche zu brauen – genau wie Darland. 2018 gründeten sie ihre LLC. Darland verantwortet die Finanzen, Hankinson Marketing und Personal.

Die beiden wollen innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre sechs weitere Restaurants im Bundesstaat New York eröffnen. Aktuell läuft die zweite Finanzierungsrunde, mit der sie weitere drei Millionen US-$ einsammeln wollen. Hinzu kommt ein zwei Millionen US-$ großer Kredit, den die Regierung kleinen Unternehmen in der Pandemie gewährte. „Wir wollen nicht, dass uns nur Bier-Nerds kennen“, sagt Darland. Es war eine bewusste Entscheidung, das Bier mit dem Zusatz „Brooklyn“ nicht zu stark lokal zu verorten. Ausschließen wollen die beiden eine landesweite Expansion nämlich nicht.

Text: Sophie Schimansky
Fotos: Nachman Blizinksy Photgraphy

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.

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Deputy Editor in Chief

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