Wohnen in Berlin ist anders

Die Mietpreise sind in einigen Berliner Bezirken in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Während auf politischer Ebene konventionelle Ansätze verfolgt werden, entwickeln Mieter zunehmend neuartige Wohnkonzepte.

In Berlin eine günstige Wohnung zu finden ist derzeit alles andere als einfach. Denn die Mieten steigen seit 2009 überproportional im Vergleich zu den Nettolöhnen und -gehältern, was laut diversen Medienberichten für Unruhe in der Bevölkerung sorgt. Betrug die durchschnittliche Nettomiete („Kaltmiete“, ohne Heizkosten und kalte Betriebskosten) vor zehn Jahren noch 4,83 €, liegt sie nun bei 6,72 € – dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Steigerung von 3,4%. Die Nettolöhne und -gehälter sind zwischen 2009 und 2018 im Durchschnitt hingegen lediglich um 2,6% pro Jahr gestiegen. Corinna Hölzl-Verwiebe, Expertin für Stadtentwicklung und Wohnungspolitik am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, sieht hierfür unterschiedliche Gründe, die zusammenwirken.

„Ein Aspekt ist, dass Berlin ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen hat“, so Hölzl-Verwiebe. Im Durchschnitt wächst Berlin seit 2010 um rund 20.000 Menschen pro Jahr an. Die daraus resultierende, gesteigerte Nachfrage nach Wohnraum und eine erhöhte Zahlungsbereitschaft der Zuziehenden beeinflussen nach wie vor den Markt. Ein weiterer Aspekt, der die Mietsituation in Berlin zusätzlich anheizt, ist das gesteigerte Interesse globaler Immobilieninvestoren, die im Zuge der Finanzkrise 2008 nach sicheren Investments suchten.

Als einen weiteren Kostentreiber sieht Hölzl-Verwiebe die steigenden Bodenpreise, welche sich seit 2000 mehr als vervierfacht haben. Einerseits werden diese in Form von höheren Mieten an die Mieter weitergegeben. Andererseits werden Baugründe aufgrund der starken Preisanstiege immer öfter auch als bloße Spekulationsobjekte gehalten, welche durch die Eigentümer nicht bebaut werden, sondern lediglich mit dem Ziel erworben werden, durch einen Verkauf in kurzer Zeit möglichst hohe Gewinne einzufahren. Daraus resultiert ein kleineres Angebot am Wohnungsmarkt, da ein Teil des Baulands dauerhaft dem Markt entzogen wird. Dies führt wiederum zu steigenden Mieten, wobei die größten Mietsteigerungen Altbauwohnungen betreffen.

Auswirkungen der Wohnraumknappheit

Der Anstieg der Mietpreise geht auch mit einer Veränderung der Zusammensetzung der Bevölkerung einher, wobei sich beide Effekte wechselseitig verstärken. Dieser Trend zur Gentrifizierung und der damit einhergehende Anstieg der Mietpreise ist speziell in den Altbezirken Kreuzberg, Friedrichshain und dem nördlichen Neukölln spürbar. Diese Gegenden lagen ehemals im unteren bis mittleren Mietpreissegment und erfahren aufgrund guter Verkehrsanbindung und zentraler Lage einen besonderen Aufschwung. Dies führt laut Hölzl-Verwiebe zu einer Verdrängung der ansässigen Bevölkerung, welche vermehrt auf Randgebiete mit schlechterer Anbindung ausweichen muss.

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Bezirksverwaltungen versuchen dieser Entwicklung entgegenzuwirken, indem Stadtteile vermehrt unter Milieuschutz (Erhaltungsverordnung der Stadt Berlin zur Beibehaltung der sozialen Zusammensetzung von Wohngebieten, Anm.) gestellt werden. Im Rahmen dessen wird bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen eine Bewilligung benötigt. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der unter Milieuschutz stehender Gebiete stark gestiegen. Die Effektivität dieser Maßnahme ist jedoch umstritten und wird auf politischer Ebene heftig diskutiert. Überdies wird der Milieuschutz nur bei Wohn-, nicht jedoch bei Gewerberäumen eingesetzt, was besonders Kleinunternehmen vor große Herausforderungen stellt.

Die steigenden Mietpreise in der deutschen Bundeshauptstadt bedrohen auch die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. Ein Jobwechsel inklusive Umzug führt in vielen Fällen zu einer Erhöhung der Mietausgaben. Aus diesem Grund schlagen Arbeitnehmer vermehrt aussichtsreiche Stellenangebote aus. Dies wird im Fachjargon als „Lock-In-Effekt“ bezeichnet. Unternehmen haben diese Problematik frühzeitig erkannt und versuchen diesem Trend entgegenzuwirken, etwa durch Zuschüsse und Unterstützung bei der Wohnungssuche.

In den eingesessenen Milieus steigt der Unmut über die fortschreitende Gentrifizierung zunehmend. So nehmen in gewissen Vierteln die Anzahl der Hausbesetzungen stark zu. Während diese besonders in den 70er und 80er-Jahren in Berlin häufig waren, erleben Besetzungen als Zeichen des Protestes gegen zunehmende Leerstände nun eine Renaissance. Daneben versuchen diverse politische Initiativen eine Trendwende auf dem Wohnungsmarkt herbeizuführen.

Lösungsansätze

Um dieser prekären Situation am Wohnungsmarkt entgegenzuwirken, werden derzeit herkömmliche Wege eingeschlagen – aber auch unkonventionelle Wohnungsformen gefördert. Hölzl-Verwiebe ging im Forbes Interview unter anderem auf traditionelle Wohnkonzepte ein.

In Berlin gibt es derzeit rund 188.000 Genossenschaftswohnungen, dies entspricht  einem Anteil von 11% aller Mietwohnungen am Berliner Markt. Auch in Zukunft soll diese Mischform des Wohnens, bestehend aus einem Eigentumsanteil und klassischer Miete, weiter forciert werden. Hierbei werden die Interessen der Genossenschaft in den Mittelpunkt gestellt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Mietwohnungen wird ein Pflichtanteil als Kapitalanteil an der Genossenschaft erhoben. Dafür können Mitglieder der Genossenschaft mit günstigen Mieten rechnen, während ihr Geld veranlagt ist. Die Aufbringung der Eigentumsanteile bereitet jedoch besonders der ärmeren Bevölkerungsschicht große Probleme. Dies betrifft vor allem neuere Genossenschaften, bei denen die Einlagen von einigen hundert bis knapp 1.000 € pro Quadratmeter betragen können, was meist deutlich höher ist als in klassischen Genossenschaften.

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Darüber hinaus gibt es auch alternative Lösungsansätze, um der Wohnraumknappheit, aber auch steigenden Mieten entgegenzuwirken – ein Kapitalanteil ist hierbei nicht notwendig. Sogenannte „Community Land Trusts“ setzen sich dafür ein, Grund und Boden der Spekulation zu entziehen. Ziel dieser gemeinwohlorientierten Bodenfonds ist es, Grundstücke mit Fondsvermögen zu erwerben und diesen dauerhaft zur privaten, gewerblichen und sozialen Nutzung zur Verfügung zu stellen. Das Projekt steht in Berlin derzeit in den Startlöchern und soll zu Beginn rein von Kleinspenden finanziert werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Gemeinwohlgedanke im Vordergrund steht.

Ebenso sind innovative Wohnansätze in Berlin am Vormarsch. Bis zum vergangenen Jahr standen die sogenannten „Tiny Houses“ am Bauhaus Campus in Berlin Mitte. Diese bieten auf teilweise weniger als zehn Quadratmeter Wohnfläche alles Lebensnotwendige. Aber nicht nur die steigenden Mieten unterstützen dieses alternative Wohnkonzept, Stadtstrukturen sollen dadurch aufgebrochen und brachliegender Platz verwendet werden. Bereits 2018 wurde das Projekt am Bauhaus Campus beendet – die innovative Art des Wohnens besteht jedoch weiterhin an anderen Standorten in Berlin und bietet eine Alternative, um steigende Mieten zu entkommen.

Auch Modelle der Wohnverwandschaften sind in Berlin im Trend. Hierbei spielt nicht nur die Mietersparnis selbst eine Rolle, auch das soziale Miteinander steht im Vordergrund. Junge Personen, zumeist Studenten, wohnen mit Senioren zusammen – davon sollen beide Parteien profitieren. Durch diese Konstellation wird ein Modell geschaffen, in welchem die Kosten für Miete sowie Betriebskosten für die jüngere Generation reduziert werden. Gleichzeitig können Studenten auch durch die Lebenserfahrung der Mitbewohner dazulernen. In den meisten Fällen werden den Senioren im Gegenzug alltägliche Aufgaben abgenommen. Durch Einkäufe und allgemeine Hilfestellung im Alltag werden diese unterstützt und gefördert.

Der Tropfen auf dem heißen Stein

All diese Lösungsansätze bilden derzeit aber nur einen Tropfen auf dem heißen Stein.  Denn es bedarf weiterer Maßnahmen, um die Marktsituation nachhaltig zu verbessern. Dennoch haben die bereits bestehenden Initiativen, die aus dem privaten Bereich stammen, zwei wesentliche Funktionen: Zum einen können sie als Inspirationsquelle für weitere private Wohnprojekte dienen, zum anderen haben sie auch eine Modellfunktion und können von der Stadtpolitik als Vorbilder herangezogen werden. Es bleibt also abzuwarten, welche Innovationen sich sowohl auf privater als auch politischer Ebene in Berlin noch entwickeln werden.

Text: Emil Backé, Michael Hofmannrichter, Nicola Weiroster
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