WUNDER DER WISSENSCHAFT

Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben beschäftigt die Menschheit seit Tausenden von Jahren. Die Vision bleibt vorerst eine Utopie, doch das Altern kann jetzt schon hinausgezögert werden – und damit lässt sich auch gutes Geld verdienen.

Schon im alten Ägypten fürchtete der Mensch die Endlichkeit. Durch Mumifizierung sollten ­leblose Körper für die Existenz im Totenreich konserviert werden. Auch in der griechischen Mythologie findet sich das Thema: Göttervater Zeus gewährte dem Sterblichen Tithonos ewiges Leben (wenn auch nicht ewige Jugend); im Judentum ­wiederum existiert die Idee des Golem – ein künstlich erschaffenes menschenähnliches Wesen. Ewiges Leben ist zwar auch Hunderte Jahre später nicht möglich, in gewisser Weise verlängern wir es aber schon deutlich: Ende des 19. Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung knappe 40 Jahre – heute werden Menschen in Westeuropa mehr als doppelt so alt. Das Problem: Körperliche Beschwerden oder geistiger Verfall prägen häufig dieses Mehr an Jahren.

Das Geschäft mit ­gesundheitsfördernden ­Produkten und dem Versprechen ewiger Jugend floriert: Allein der Umsatz für relativ simple Hautpflegeprodukte beträgt in den USA um die 20 Milliarden US-$ pro Jahr. Daneben kennt der Markt auch Multivitaminkapseln, Nahrungsergänzungsmittel für den Säuren-Basen-Haushalt, Radikalfänger auf biologischer Basis und vieles mehr. Im High-End-Bereich der medizinischen Forschung finden sich zudem im Labor gezüchtete Körperteile aus genetischem Material sowie das Thema Bio-3D-Printing. Und: Menschen lassen sich nach ihrem Tod zur Gänze einfrieren, in der Hoffnung, eines Tages wiedererweckt zu werden. Laut der Deutschen Gesellschaft für Angewandte ­Biostase entschieden sich in Deutschland bisher circa 130 Personen dafür. Man sieht: Die Wirtschaft findet kreative Lösungen, um das Leben der Menschen zu verlängern – vermeintlich unendlich. Doch man könnte auch klein anfangen, ganz klein: bei den Molekülen in unseren Zellen. Diesen Ansatz verfolgt das Grazer Unternehmen The Longevity Labs. Es vertreibt Kapseln, die die Zellalterung mittels einer natürlichen Substanz verlangsamen – laut den Gründern auf Grundlage wissenschaftlicher Fakten. Ihren Ausgangspunkt nahm die Idee bei Tobias Eisenberg: Der Biochemiker machte vor 15 Jahren, gemeinsam mit Frank Madeo, die Entdeckung, dass die Verabreichung des Polyamins Spermidin Zellen zur Selbsterneuerung anregen kann. Eisenberg: „Wir haben mit Germ begonnen und gesehen, dass die Hefezellen durch die externe Gabe von Spermidin länger leben. Sie sind auch ‚fitter‘ und zeigen weniger Stressanzeichen. Das hat uns gefreut. Doch wir wollten wissen, ob die Methode auch für menschliche Zellen Relevanz hat.“

Nun ist Eisenberg vor allem Wissenschaftler. Nach seinem Studium der Biochemie an der Universität Tübingen schloss Eisenberg 2008 sein Doktorat in Molekularbiologie an der ­Universität Graz in Österreich ab. Er war von 2013 bis 2016 Apart-Fellow der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; 2014 forschte er unter anderem an der FU Berlin im Bereich der ­Zellalterungsprozesse von Fruchtfliegen. Seit 2016 ist Eisenberg Assistenzprofessor am Institut für Molekularbiologie an der Universität Graz – und treibt gegenwärtig gemeinsam mit Madeo und in Kooperation mit dem Unternehmen The Longevity Labs die Forschung an Spermidin voran. „Wenn wir alternden ­Mäusen Spermidin füttern, können wir zeigen, dass ihre Herzmuskeln leichter entspannen und eine bessere Funktion haben“, so Eisenberg. Das Polyamin wirkt sich positiv auf das Mäuseherz aus. Ebendieses Prinzip soll auch Menschen nutzen. Das Molekül hat seinen Namen, da es auch in hoher Konzentration bei der Bildung von Sperma vorkommt. Doch nur seine Rolle in der Fortpflanzung zu betrachten würde der Bedeutung des Moleküls nicht gerecht: Es ermöglicht in Zellen Autophagie. Bei diesem Prozess führt die Zelle eine Selbstreinigung durch, indem sie fehlerhafte Proteine in eine Art chemischen „Müllsack“ verpackt, wie es Eisenberg erläutert. „Vor allem im Alter falten sich Proteine falsch und verkleben sozusagen. Dann sind sie nicht mehr funktionell und können die Zelle gefährden.“ Der „Müllsack“ wird in den zellinternen Verdauungstrakt, das Lysosom, transportiert, wo Nützliches aus dem Zellabfall wiederverwertet wird. Eisenberg: „Man kann sich das vorstellen wie ein Recyc­lingcenter.“ Gleichzeitig analysiert die Zelle ihre Mitochondrien, die Energielieferanten auf kleinster Ebene, auf Fehler. Autophagie macht die Zelle leistungsfähiger. Das Ganze ist kein Nischenthema: Für die Erforschung der ­Autophagozytose erhielt der Japaner Yoshinori ­Ohsumi 2016 den ­Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Dabei braucht es gar nicht unbedingt ein Labor: Auch so simple Methoden wie das traditionelle Fasten helfen, so Eisenberg: „Wenn Sie sieben Tage lang fasten, sind Sie auf einem sehr guten Weg, dass Ihre Autophagie in sehr vielen Zellen auf Hochtouren läuft. Auch beim Intervallfasten – also jeden ersten Tag essen und jeden zweiten Tag fasten – ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Autophagie aktivierbar ist.“

Spermidin startet die Zellerneuerung unabhängig vom Fasten. Die Substanz kommt von Natur aus in einigen Nahrungsmitteln vor. „Vom Dünndarm aus aufgenommen wird diese Substanz über die Blutbahn verteilt. Man schätzt, dass ein Drittel des Spermidinpools von außen über die Ernährung kommt, ein weiteres Drittel vom Stoffwechsel im Körper selbst stammt und das dritte Drittel von Bakterien aus dem Darm, dem Mikrobiom.“ Herbert Pock, heute Geschäftsführer von The Longevity Labs, erkannte das Potenzial auf Anhieb. Die jahrelange Erfahrung in seinem eigenen Beratungsunternehmen Austin Pock & Partners half, die Hürden bei der Markteinführung zu erkennen und zu überwinden. „Bis dahin gab es nur synthetisches Spermidin, das nicht für den menschlichen Bereich zugelassen ist. Eine der Fragen war: Können wir natürliches Spermidin herstellen? Können wir es aus Lebensmitteln extrahieren?“, so Pock.

„Vor allem im Alter falten sich Proteine falsch und verkleben sozusagen. Dann sind sie nicht mehr funktionell und können die Zelle gefährden.“

Tobias Eisenberg, Assistenzprofessor am Institut für Molekularbiologie an der Universität Graz

The Longevity Labs entschied sich für den Weizenkeim als Lieferant für die Massen­produktion. Bereits 2016 wurde gegründet, doch erst 2018 ließen die Behörden Ages (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit) und Efsa (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) das Produkt als „Novel Food“, als Nahrungsergänzungsmittel, zu. The Longevity Labs vertreibt nur zwei Varianten des Produkts; eine Verbreiterung der Produktpalette ist im Moment nicht vorgesehen. Pock: „Worum es uns geht, ist, die Zelle als solche in den Mittelpunkt unseres wissenschaftlichen und ­unternehmerischen Tuns zu stellen.“ Der nächste Schritt: Investoren. „Mit den Forschungsergebnissen und unserem Businessplan konnten wir Hannes Androsch überzeugen“, so Pock. Androsch – ehemaliger Vizekanzler Österreichs und international agierender Industrieller – investierte drei Millionen € in das Unternehmen. Neben dem Geld brachte Androsch aber eine andere Währung mit: die ­nötige Aufmerksamkeit für das Marketing. Verkauften sich laut dem Unternehmen im ersten Jahr rund 40.000 Packungen des Produkts Spermidine Life, so waren es 2020 schon rund 200.000 (eine Packung mit 60 Kapseln kostet in der Apotheke zwischen 45 und 60 € und reicht für ein Monat). Der Jahresumsatz belief sich laut Unternehmensangaben 2020 auf rund sieben Millionen €. Androsch zur Frage, warum er investiert hat: „Weil ich überzeugt wurde, dass dies eine sinnvolle Entwicklung ist. Wir sind schon (mit dem Produkt Spermi­dine Life, Anm.) in Deutschland, in den USA und anderen Ländern aktiv. Es hat sich gut ent­wickelt. Seit ich eingestiegen bin, hat sich der Umsatz verzwölffacht.“ Androsch, der dieses Jahr 83 Jahre alt wird, nimmt die Kapseln selbst. Er fühlt sich in seinem hohen Alter fit – trotz einer Nierentransplantation vor rund zwei Jahren. Das will er aber nicht nur auf Spermidin zurückführen: „Ich habe ein breites Portfolio und betreibe medizinische Kliniken in Maria Wörth und Altaussee auf Vivamayr-Basis (Prinzip dieser Lehre: Gesundheits- und Leistungssteigerung durch regelmäßige Umstellung der Ernährung, Anm.).“ In die zwei ­Vivamayr-Kliniken, die von Androschs Kindern ­geführt werden, investierte er 70 Millionen €. Die Kliniken rühmen sich, für Kunden am Rande des Burn-outs regenerierende Fastenkuren anzubieten.

Das Leben auf Biegen und Brechen zu verlängern – davon hält Androsch jedoch wenig. Es sei stattdessen erstrebenswert, „ein selbstbestimmtes, erfülltes und erfüllendes Leben zu leben“. So kommt für Androsch auch Kryokonservierung nach seinem Tod nicht infrage, obwohl das Einfrieren verstorbener Menschen – die Kryonik – für viele schon Realität ist. Der Körper wird dabei zunächst auf annähernd null Grad Celsius gebracht, während eine Speziallösung das Blut ersetzt. Danach erfolgt die Langzeitlagerung bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff. Vorreiter der kommerziellen Anwendung dieser Technik sind die USA, mit Unternehmen wie der Alcor Life Extension Foundation. Kostenpunkt: bis zu 200.000 US-$. Das Problem ist das Wiederbeleben: Hier ist unklar, ob das Verfahren wirklich funktioniert. Für Androsch ist das Thema aber sowieso unethisch: „Ich glaube nicht, dass man einen verstorbenen Körper wieder zurück ins Leben holen kann. Falls ja, sollte man meiner Meinung nach davon Abstand nehmen, weil ich dafür keinen Sinn erkennen kann. Das wäre ein Art Golem.“

Text: Carsten-Pieter Zimmermann
Illustration: Valentin Berger

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–21 zum Thema „Health & Wealth“.

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