Zweimal Umgekehrt

Der US-Talentmanager Michael Mills dreht den Trend um: Er bringt YouTube-Stars wie Lilly Singh und Tyler Oakley weg vom Bildschirm..

Der US-Talentmanager Michael Mills dreht den Trend um: Er bringt YouTube-Stars wie Lilly Singh und Tyler Oakley weg vom Bildschirm und vor ein Livepublikum. Das Konzept boomt.

Mehr als 2.000 junge Mädchen füllten die Halle des Jam­shed Bhabha Theatre in Mumbai im Mai 2015. Der Grund war für das normalerweise für Ballett- und Opernvorführungen genutzte Haus ein ungewöhnlicher: ein Auftritt von Lilly Singh, einem YouTube-Star. Für die meisten Gäste war das die erste Möglichkeit jemals, Singh live zu erleben. Das heißt aber nicht, dass sie unbekannt war. Denn Singhs YouTube-­Kanal „Superwoman“, auf dem sie ihre Videos hochlädt, hielt zu Redaktionsschluss bei satten 1,8 Milliarden Views. Die Fans kannten also die Stand­-up-Performance, die sie erwarten durften. Zumeist sind es Witze über Singhs ­eigene indische Herkunft. Laut Forbes-­Schätzung lag der Umsatz dieser einen Show bei 54.000 US-$. Die nach Mumbai folgenden 23 Stationen auf Singhs weltweiter Tour brachten insgesamt 1,7 Mio. US-$ ein.

Das Potenzial ist offensichtlich: Die zehn Bestverdiener unter den Youtube-Stars nahmen 2016 rund 70,5 Millionen US-$ ein.

Sowohl Show als auch Tour wurden von Michael Mills organisiert. Dessen Produktionsagentur Mills Entertainment hatte den Plan, die riesigen Followerzahlen von Social-Media-Stars auf YouTube, Instagram oder Snapchat mithilfe von Liveauftritten weiter zu monetarisieren. „Was man auf einem Bildschirm sieht, wird einer Liveerfahrung niemals gleichkommen. Wenn die Kids jemanden live auf der Bühne sehen, ist es für sie wie Magie.“ Mills Unternehmen hat 82 Mitarbeiter und einen geschätzten Umsatz von 56 Mio. US-$. Das ist in der Unterhaltungsbranche zwar keine große Summe, das Potenzial ist jedoch offensichtlich. Im Vorjahr verdienten die Stars der zehn bestverdienenden YouTube-­Kanäle zusammen rund 70,5 Mio. US-$ (Singh: 7,5 Mio. US-$). Das brachte eine der größten Talentagenturen in Hollywood, CAA, dazu, geschätzte 15 Mio. US-$ für einen unbekannten Anteil an Mills Entertainment zu investieren.

„Mills hat bewiesen, dass er nicht nur etablierte Stars perfekt vermarktet, sondern auch, dass er einen Weg gefunden hat, das intellektuelle Eigentum von Filmstudios und -netzwerken vor Livepublikum zu bringen“, sagt Richard Lovett, Präsident von CAA.

Lilly Singhs Agenten, die Mills drei Monate vor Tourstart erstmals kontaktierten, sagten, sie dachten gar nicht an ein anderes Unternehmen. Sarah Weigel, Singhs Managerin, dazu: „Michael war einer der Ersten, die die Chance erkannten, Influencer richtig einzusetzen.“ Es gibt zwar Konkurrenten, wie Right Angle Entertainment oder Magic­Space, die ähnliche Shows veranstalten – doch keiner von ihnen fokussiert sich auf digitale Talente. Nachdem Singh und ihr Team dem Plan zugestimmt hatten, begann Mills, die Show zu planen. Singh tritt als geschmückte Pilotin auf, die mit ihren Fans nach „Unicorn Island“ fliegt – eine Fantasiewelt, in der von Rap über Hip-Hop-Tanz bis hin zu TED-ähnlichen Vorträgen alles möglich ist.

Mills war großer Fan von Zauberei und leitete einen Magie-Shop.

Mills hatte schon früh ein Gefühl bekommen, welchen Bann Livevorführungen auf ein Publikum haben können. Mit 16 Jahren arbeitete er freiwillig als Platzanweiser in dem 90 Jahre alten Proctors Theater in Schenectady im US-Bundesstaat New York, das 2.700 Plätze fasste. Er merkte, dass das, was hinter den Kulissen passierte, mindestens genauso spannend war wie die Aufführung auf der Bühne selbst. „Ich kann mich erinnern, dass ich an einem Abend Jerry Seinfeld sah und am nächsten eine Aufführung des Musicals ‚Cats‘. Das hat Eindruck hinterlassen. Denn es waren zwar an beiden Abenden alle Tickets restlos ausverkauft. Doch bei Jerry Seinfeld brauchte es dazu nur einen Mann und ein Mikrofon. Bei ‚Cats‘ waren dazu zehn Lastwagen und zehn Mio. US-$ an Utensilien nötig.“

In ebendieses 90 Jahre alte Theater brachte Mills noch als Student seine erste Vorführung. Mills war großer Fan von Zauberei und leitete einen Magie-Shop. Als er 1998 zufällig ein Gespräch eines Promoters über das Magierduo Penn & Teller hörte, flippte Mills fast aus. „Ich war ein riesengroßer Fan. Ich packte ihn förmlich und bat ihn, mir beizubringen, wie man das machen kann.“ Der Promoter war John Trembler, der ein kleines Theater in Pennsylvania leitete. „Er war wie ein Schwamm. Er absorbierte alles, was ich ihm erzählte“, so Trembler, der heute als Senior Producer bei Mills Entertainment arbeitet. Mit Tremblers Hilfe schaffte der damals 19-jährige Mills es, Penn & Teller für sein kleines Theater zu buchen. Die Anzahlung holte er sich, indem er seine Kreditkarte immer wieder in seinem Magie-Shop verwendete, bis er die 10.000 US-$ Bargeld beisammen hatte. Mills buchte auch in den nächsten ­Jahren weitere Shows für sein Theater, eine Handvoll pro Jahr. Den ersten Mitarbeiter stellte er 2000 an. Drei Jahre später bat ihn die Theaterleitung, eine Comedyshow auf die Beine zu ­stellen. Mills holte Colin Mochrie und Brad Sherwood an Bord, die durch die ­legendäre, stets improvisierte Comedy­show „Who’s Line is it Anyway?“ berühmt geworden waren.

Jede Show brachte also zwischen 80.000 und 100.000 US-$ Umsatz.

Sie stellten die Show vor Livepublikum nach. „Wir wollten das Ganze in sechs Vorführungen testen“, sagt Mills. „Das Ding explodierte.“ 500 Vorführungen später hatte er mit dem Konzept 30 Mio. US-$ eingenommen. Mills blieb sich treu und produzierte Liveevents mit Realityshow-Stars. Das Geschäft florierte. Dabei sollten die Stars einfach das machen, was sie am besten konnten. So ließ Mills etwa den Star der Kochshow „Cake Boss“, Buddy Valastro, vor Publikum ­Kuchen dekorieren. Den Gästen lief das ­Wasser im Mund zusammen.

Mehr als 2.000 Menschen kamen, die Ticketpreise lagen bei rund 50 ­US-$. Jede Show brachte also zwischen 80.000 und 100.000 US-$ Umsatz (in der Regel steckt die Produktionsagentur zehn bis 30 Prozent des Umsatzes in die eigene Tasche). Als dann digitale Stars wie Lilly Singh auf der Bildfläche auftauchten, dachte Mills, dass Ähnliches möglich sein müsste. „Er bombardierte mich mit Namen, die ich noch nie gehört hatte“, sagt Trembler. „Als ich dann aber die Subscriberzahlen und Views sah, fiel mir die Kinnlade runter.“ 2014 plante Mills eine Tour mit dem YouTube-Star Tyler Oakley, der auf YouTube rund acht Mio. Follower hat. In seinen Videos hat Oakley ein talkshowähnliches Format, in dem er von LGBT-Rechten bis hin zu Promiklatsch alles abdeckt. Oakleys erste Tour mit Mills – „Tyler’s Slumber Party“ – stellten diese locker gehaltenen Videos nach. Das Bühnenbild sah dabei aus wie Oakleys Wohnzimmer.

Oakley trug einen Einteiler (wie auch viele der Gäste), während er Geschichten erzählte, Comedyeinlagen brachte und Scherzanrufe tätigte. Die Show lief von Oktober 2014 bis September 2015 und brachte rund 1,3 Mio. US-$ ein. Mills hat auf seinem Weg viele Lektionen gelernt. Etwa, dass Chancen kommen und gehen. Shows wie „Spank!“, eine Parodie auf „50 Shades of Grey“, können in einem Monat ausverkauft sein und im nächsten Monat niemanden mehr interessieren. Eine Parodie auf „Hunger Games“ kostete ihn etwa rund 200.000 US-$: „Die Fans von ‚Hunger Games‘ wollten nicht über ihr Lieblingswerk lachen.“

 

Text: Madeline Berg | Forbes US

Übersetzung: Klaus Fiala | Klaus.fiala@forbes.at

Fotos: Ethan Pines für Forbes

 

 

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