Der Heimgekehrte

Schon als kleines Kind war Gerhard Berger von den Autos in den Werkstätten seines Heimatorts Wörgl fasziniert – dass er wenige Jahre später über internationale Rennstrecken brettern würde, hätte er sich damals nicht gedacht. Doch wie gelang es Berger, vom Wörgler „Straßenjungen“ zu einer österreichischen Formel-1-Legende zu werden?

Zwischen dem Zentrum Wiens und Wörgl in den schneebedeckten Berglandschaften Tirols liegen rund vier Stunden Zugfahrt. Im Inntal im Bezirk Kufstein gelegen zählt Wörgl 14.403 Einwohner, die Landeshauptstadt Innsbruck ist etwa 55 Kilo­meter entfernt. Der ehemalige Formel-1-Fahrer ­Gerhard Berger hat seinen Heimatort als Unternehmenssitz gewählt – zwischen Büchern über die Deutsche-Tourenwagen-Masters-Rennsport­serie (DTM) und Formel-1-Modellautos stehen Geschenke und Preise, die dem heute 64-Jährigen während seiner Tätigkeit im Rennsport verliehen wurden. Rennfahrer-Legende Jochen Rindt widmet Berger eine ganze Wand in seinem Büro – aber wie begann Bergers Faszination für den Rennsport?

Autos waren dem Tiroler noch nie ­sonderlich fremd: Der ehemalige Rennfahrer wuchs ­zwischen der Lkw-Werkstatt und dem Speditions­unternehmen seines Vaters, Johann Berger, auf. Außerhalb des elterlichen Betriebs kam ­Berger auch mit dem Rennsport schon früh in Berührung: In der Nähe von Wörgl fanden immer wieder Bergrennen, etwa das Hannersberg-­Rennen, statt. Auf einem Baum sitzend verfolgte Berger das Geschehen auf den Bergstrecken ­Tirols. Viele der an den Rennen beteiligten Autos wurden damals in Wörgl gefertigt. „Als kleiner Bursche bin ich auf dem Schulweg an den Fenstern der Werkstätten stehen geblieben und habe zugesehen, wie sie die Autos zusammengebaut haben. Auch durch die Werkstätte meines Vaters habe ich mich viel mit Autos beschäftigt und so meine Leidenschaft entdeckt“, erzählt Berger.

Professioneller Rennfahrer zu werden stand damals aber noch nicht auf seinem Plan. Nach der Hauptschule besuchte er eine Handelsschule und begann später eine Lehre als Mechaniker in der Werkstatt des ehemaligen Rennfahrers Franc Convalexius nahe Wörgl. Dieser bereitete dort nachts seine Rennautos vor und machte Berger damals das Angebot, bei einem Rennen teilzunehmen. Sein erstes Autorennen fuhr der Tiroler dann im Jahr 1978 in einem Ford Escort – und gewann; ein Sieg, der es auf die Titelblätter vieler Zeitungen schaffte. Im Jahr darauf beschloss ­Berger, sich auf den Rennsport zu konzentrieren, und richtete einen völlig beschädigten Alfa ­Romeo Alfasud her, mit dem er im Jahr 1981 seine erste Rennsaison bestritt. 1982 startete er erstmals in der deutschen Formel-3-Meisterschaft, stieg ein Jahr später in die europäische Formel-3-Meisterschaft und schließlich in die Touren­wagen-Europameisterschaft ein. Der ­Jurist, ­Hotelier, ehemalige Rennfahrer und Renn­stallbesitzer Helmut Marko war stets an seiner Seite. Es dauerte aber weitere zwei Jahre, bis ­Berger in der Formel 1 starten konnte: „Für den Tiroler Gerhard Berger schlägt heute eine große Stunde, er fährt für das ATS Racing Team und fiebert ­seiner Formel-1-Premiere entgegen“, ­ertönte es 1984 aus den Lautsprechern am da­maligen Österreichring – heute Red Bull Ring. Aufgrund eines Getriebeschadens fiel Berger ­jedoch drei Runden vor Schluss aus. Bereits im darauffolgenden Jahr erhielt Berger einen Vertrag beim britischen Formel-1-Team Arrows Grand Prix International und trat später für den Rennstall von Benetton an. In der Saison 1986 ­etablierte er sich in den vorderen Rängen und gewann beim Großen Preis von Mexiko sein ­erstes Formel-1-Rennen.

Insgesamt bestritt Berger 210 Grand-Prix-Einsätze – unter anderem für Benetton, ­Ferrari und McLaren. Er fuhr zehn Siege, zwölf zweite und 21 dritte Plätze nach Hause. Berger besetzte außerdem zwölf Polepositions und fuhr 21 schnellste Rennrunden. Doch neben zahl­reichen Glücks­momenten war Bergers Karriere auch von Rückschlägen gekennzeichnet.

Eines der tragischsten Ereignisse in seinem Rennfahrerleben ereignete sich 1994, als sein ­brasilianischer Rennfahrerkollege Ayrton Senna tödlich verunglückte. Berger hatte Senna im Alter von 21 Jahren kennengelernt; mit der Zeit freundeten sich die beiden an und trafen sich auch abseits der Rennstrecke. Als McLaren Berger 1990 unter ­Vertrag nahm, waren die beiden bis 1992 Team­gefährten. Zwei Jahre später der Schock: Senna kam in Runde sieben des Großen Preises von San ­Marino in Führung liegend von der Bahn ab, prallte in der Tamburello-Kurve gegen die Begrenzungsmauer und zog sich tödliche Kopf­verletzungen zu. Für Berger war Sennas Tod ein schwerer Verlust. Er selbst verunglückte fünf Jahre zuvor in derselben Kurve: 20 Sekunden lang saß Berger im brennenden Ferrari und erlitt dabei schwere Brandverletzungen an seinen ­Händen sowie einen Rippenbruch.

Zu Bergers aktiver Rennfahrerzeit waren die Sicherheitsrisiken weitaus größere als heute. Welchen Gefahren er bei seinen Rennen ausgesetzt war, ist Berger durchaus bewusst: „Zu meiner Zeit war die Teilnahme an Rennen noch um einiges gefährlicher. Viele meiner Kollegen sind auf der Rennstrecke ums Leben gekommen. Ich selbst habe meine Karriere überlebt und hatte in meinem Leben oft das Glück, auf die Sonnenseite der Dinge fallen zu dürfen.“

Er hatte auch das Glück, in der Formel 1 noch etwas ganz anderes zu lernen: „Während meiner Zeit als Rennfahrer bekam ich immer wieder die Chance, auch Managementaufgaben zu übernehmen und Verhandlungen mit Unterstützung von Fachleuten und rechtlichen Beratern großteils selbst zu führen“, erzählt Berger. Seit 1996 ist er Alleineigentümer der Berger Beteiligungsgesellschaft m.b.H., die Alleineigentümerin der 1962 von seinem Vater gegründeten Berger Transport GmbH. Gerade durch den Betrieb seiner Eltern eignete sich der ehemalige Formel-1-Fahrer schon früh unternehmerisches Wissen an und setzte dieses später bei Verhandlungen im Rennsport ein.

1997 beendete Berger seine aktive Renn­fahrerkarriere mit einem fünften Platz beim Großen Preis von Europa. Mit dem Rennsport war für ­Berger aber deshalb nicht Schluss: 1998 erreichte ihn das Angebot, als Motorsportdirektor den Einstieg von BMW in die Formel 1 zu begleiten. Diesem Auftrag ging er bis 2003 nach. Einige Jahre später, von 2006 bis 2008, übernahm er 50 % des Formel-1-Teams Scuderia Toro Rosso. Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz beteiligte sich wiederum zu 50 % an Bergers Logistik­unternehmen Berger Logistik.

Fast zehn Jahre später war Berger erster Vorsitzender der Internationalen Tourenwagen Rennen GmbH (ITR), der ehemaligen Dach­­orga­nisation der DTM.

Auf die Frage, was der Einstieg in die Rennszene mit ihm gemacht habe, meint Berger: „­Davor war mein ganzer Lebensweg in Wörgl vorgezeichnet. Ich habe im elterlichen Betrieb gearbeitet und wäre Nachfolger meines Vaters geworden. Das Rennfahren hat alles verändert; ab da hat sich mein Leben international auf den Rennstrecken der Welt abgespielt.“

So eine Karriere zieht internationale Aufmerksamkeit auf sich und hinterlässt Spuren: Noch heute wird Berger auf der Straße erkannt. Er selbst sieht das als Privileg. Auch dem unternehmerischen Druck steht Berger gelassen gegenüber: „Im Spitzensport steht man dauerhaft unter Druck. Mit der Zeit lernt man aber, mit diesem fertigzuwerden. Ich habe sozusagen mein Leben lang unter Druck gearbeitet und kann auch heute noch gut damit umgehen.“

Stillstand ist für den Ex-Rennprofi nichts. Sein Unternehmen Berger Logistik beschäftigt ihn täglich. Das Unternehmen ist auf drei Säulen aufgebaut: „Zum einen Teil haben wir hier in Wörgl das Logistikunternehmen, zusätzlich sind wir Marktführer im Leichtbau und stellen Auf­leger für Lkws her. Und dann gibt es noch die Lkw-Werkstätte.“ Aktuell zählen seine Unter­nehmen 800 Mitarbeiter und machen einen ­Umsatz von 400 Mio. €. „Natürlich freuen wir uns immer ein wenig über unsere Erträge“, meint Berger schmunzelnd.

Ich hatte in meinem Leben oft das Glück, auf die Sonnenseite der Dinge fallen zu dürfen.

Gerhard Berger

Auf die Frage nach seiner größten Kon­kurrenz nennt Berger sich selbst: „Ich halte nicht viel vom Nach-links- und Nach-rechts-Schauen und versuche, mich vor allem an mir selbst zu messen. Ich glaube, man muss sich seine eigenen Ziele stecken und schauen, wie man dort hinkommt – möglichst ohne sich dabei zu ver­gleichen.“ Um erfolgreich zu sein, gebe es für ihn keine goldene Regel. Begeisterung, Leidenschaft und Talent sind seiner Erfahrung nach die besten Treiber, um ans Ziel zu gelangen: „Erfolgreich zu sein bedeutet für mich, glücklich zu sein und ­jeden Tag Dinge tun zu dürfen, bei denen man aufblüht“, so Berger.

Noch heute ist der Unternehmer ein großer Bewunderer der Formel 1 – und der Motorsport boomt mehr denn je, sagt er. Auch zu Zeiten von Bergers Karriere war die Motorsport-Kultur Amerikas hoch ange­sehen: „Schon damals hieß es immer, Amerika würde der Formel 1 guttun. Weder der europäische noch der asiatische Motorsport-Markt konnten mit der Popularität des amerikanischen Markts mit­halten.“ Berger zufolge trug auch das US-ameri­kanische Medien­unternehmen Netflix durch Ausstrahlung von Rennsportserien und Dokumentarfilmen wie „Formula 1: Drive to ­Survive“ zur Popularität des Motorsports in Übersee bei.

Doch aufgrund des hohen CO2-Ausstoßes bei Motorsport-Events gilt die Formel 1 für viele Menschen mittlerweile als Klimasünde. Berger leugnet den negativen Einfluss solcher Events keinesfalls, sieht die Verantwortung jedoch nicht bei den Veranstaltungen selbst, sondern bei denen, die diese besuchen: „Die Formel 1 fährt mit den effizientesten und klimafreundlichsten Motoren überhaupt. Die größte Belastung sind die Logistik und die Menschen, die zu derartigen Rennen reisen. Meiner Meinung nach wird diese Diskussion nicht richtig geführt – es müsste da­rüber diskutiert werden, große Veranstaltungen im Allgemeinen abzuschaffen, wobei ich bezweifle, dass die Menschen sich diese Art von Unterhaltung nehmen lassen würden.“ In Bergers Augen gibt es weitaus sinnvollere Ansätze – die mehr für den Klimawandel bewirken würden – als die der Abschaffung der Formel 1.

30 Jahre lang lebte Berger in Monaco, vor sechs Jahren ist er jedoch in seine Heimat Wörgl zurückgekehrt. Dass er aus der Stadt im Inntal jemals wieder wegziehen wird, bezweifelt er: „Ich habe früher nie viel von dem Spruch ‚Back to the Roots‘ gehalten. Ich war immer viel unterwegs, die Familie stand bei mir in jüngeren Jahren nicht immer so sehr im Vordergrund, wie sie es jetzt tut. Irgendwann hat mich das dann aber eingeholt und ich wollte dort sein, wo meine ­Familie ist, und bin in meine Heimat zurück­gekehrt.“

Früher lag Bergers Fokus vor allem auf ­seiner Karriere im Motorsport. Dieser Fokus habe sich mit dem Älterwerden jedoch auf ­Gesundheitsthemen verschoben. Er sei für sein ­Leben sehr dankbar, wisse jedoch, dass es für alles ein Ablaufdatum gebe. Umso wichtiger ist es Berger, die nächsten Jahre bestmöglich zu gestalten und seine Familie und Kinder zu unterstützen. „Ich möchte, dass meine Familie in der Lage ist, in meine Fußstapfen zu treten, sei es im Unternehmen, im Sport oder einfach auf menschlicher Ebene. Das sind meine Hauptziele für das letzte Drittel meines Lebens“, so Berger abschließend mit einem Blick aus dem Fenster zu den Bergen – dorthin, wo alles begann.

Der heute 64-jährige Gerhard Berger ist ein ehemaliger österreichischer Formel-1-Rennfahrer, der in den 80er- und 90er-Jahren auf internationalen Rennstrecken aktiv war. Er gewann zehn Grand-Prix-Rennen und fuhr für Teams wie Ferrari, McLaren und Benetton. Heute leitet er das Logistikunternehmen Berger Logistik in Wörgl, wo auch seine Familie zu Hause ist.

Fotos: Dirk Bruniecki
nfografik: Valentin Berger, Emin Hamdi

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