Kein böses Blut

Für Theblood ist Menstruationsblut kein Abfallprodukt des weiblichen Körpers, sondern eine bisher nicht genutzte Chance, die Frauenmedizin zu revolutionieren. Die beiden Gründerinnen Miriam Santer und Isabelle Guenou haben diese Chance ergriffen: Ihr Berliner Start-up will das Tabu rund um den weiblichen Zyklus brechen und die Gender Data Gap in der Medizin schließen. Dies soll mittels eines nicht invasiven Tests des Menstruationsbluts gelingen.

Die geschlechtsspezifische Medizin ist ein grundlegend wichtiger, aber noch nicht ausreichend untersuchter Aspekt der modernen medizinischen Versorgung. Diese Erkenntnis teilten auch Miriam Santer und Isabelle Guenou, als sie sich in ihrem Medizin-Masterstudium kennenlernten. Studien zufolge erhalten Frauen mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 % doppelt so häufig wie Männer eine Fehl­diagnose, was falsche Behandlungen nach sich zieht und mit­unter tödliche Folgen haben kann. In Deutschland war die Berück­sichtigung von Geschlechtsunterschieden in klinischen Studien bis zum Jahr 2004 nicht vorgeschrieben, in einigen Ländern ist sie das bis heute nicht. „Der männliche Körper ist weitaus einfacher zu verstehen als der weibliche – das heißt, man konnte Medikamente oder Therapien leichter an Männern testen, ohne dabei die komplexen Hormonzyklen der Frau berücksichtigen zu müssen“, erklärt Santer.

Die beiden Gründerinnen lernten einander 2017 zu Beginn ihres Masterstudiums in Marketing- und Unternehmens­kommu­nikation an der Design Akademie Berlin kennen. Als Santer und Guenou während ihres Masterstudiengangs klar wurde, dass Menstruationsblut in der Medizin bisher nur als Abfall­produkt galt, entwickelten sie die Idee für ein eigenes Femtech-­Produkt, bis es 2022 schließlich zur Gründung des Start-ups Theblood kam. Theblood ist das erste Start-up Europas, das mittels Menstruationsblut mehr über Frauengesundheit herausfindet, indem es dieses labor­diagnostisch analysiert. Ziel des Unternehmens ist es, Menstruationsblut nutzbar zu machen; in der Praxis soll dies mittels eines Direct-to-­Costumer-Produkts, eines At-­­Home-Testkits für Frauen, er­­folgen. Die Kundinnen von Theblood fangen hierbei ihr Mens­trua­tionsblut auf und lassen dieses im Labor des Femtech-Start-ups unter­suchen. Die Testergebnisse und Gesundheitsinformationen sind ­anschließend per App zugänglich. „Mit unserem Produkt wollen wir Frauen erreichen, die Interesse daran haben, ihren Zyklus besser zu verstehen, die vielleicht auch Zyklusbeschwerden oder Hormonschwankungen haben. Das können Frauen mit Kinderwunsch, aber auch Frauen in der Menopause sein; unser Produkt ist für Jung bis Alt geeignet“, so Santer. Ist eine Probe eingereicht, wird diese auf Vitamine und Hormone getestet. Langfristig betrachtet will Santer mit Theblood in die Diagnostik gehen und Krankheiten frühzeitig identifizieren.

Das Büro des Unternehmens liegt in Berlin-Mitte, Theblood hat aktuell vier Angestellte. Der Tag bei dem Start-up beginnt mit einem täglichen Abgleich des Teams. „Eigentlich gibt es bei uns keinen fixen Tagesplan. Unser Büro ist superschön, daher arbeite ich gerne von dort aus. Dort fällt es mir außerdem leichter, meine To-dos abzuarbeiten, als zu Hause. Untertags haben wir superviele Meetings, da bleibt man dann natürlich auch manchmal etwas länger, aber das gehört dazu“, so Santer.

Als Pioniere in ihrem Spezial­gebiet stoßen die beiden Gründe­rinnen naturgemäß auf so einige Herausforderungen: Bisher exis­tierte zum Beispiel kaum eine Möglichkeit, Menstruationsblut untersuchen zu können. Aktuell arbeitet Theblood mittels Menstruationstassen – auch diese sind erst seit dem Jahr 2002 auf dem Markt. Santer zufolge lag die größte Herausforderung des Unternehmens darin, Ärzte zu finden, die „out of the box“ denken, die Idee von Theblood unterstützen und gemeinsam mit dem Team des Start-ups Menstruationsblut untersuchen. „Bei unseren Proben handelt es sich nicht um eine reine Blutprobe, wie man sie gewohnt ist, wenn sie aus der Vene kommt. Der Begriff Menstruationsflüssig­keit beschreibt es eher, da in den Proben Gewebe, Zellen und Bakterien vorzufinden sind. Genau das macht es natürlich nicht so einfach, validierte Ergebnisse zu bekommen“, erklärt Santer.

­Theblood überbrückte die ersten sechs Monate finan­ziell mithilfe des „Berliner Startup Stipendiums“. Später holten die Gründerinnen die ersten Business Angels an Bord: „Das war damals gar nicht so einfach, gerade wenn man die allerersten Investoren sucht. Nachdem es aber ganz gut geklappt hat, haben wir mit den Business Angels eine erste große Finanzierungsrunde gemacht. Dieser Prozess dauerte sechs Monate lang. Für mich persönlich – und das ganze Team – war das auch eine ganz schöne Herausforderung und ein anstrengender Vollzeitjob, ins Fundraising zu gehen und auf der anderen Seite für das Team nicht so verfügbar zu sein, wie ich es gerne wollte“, so Santer. Heute stehen dem Team von Theblood Finanzierungsquellen wie die Europäische Union, das Deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, der ESF (Europäische Sozialfonds) in Berlin und der Wipano („Wissens- und Techno­logietransfer durch Patente und Normen“) zur Ver­fügung.

"In der Medizin hat man es sich oft leicht gemacht und nur den männlichen Körper untersucht“, so die Theblood-Gründerinnen

Dass die weibliche Menstru­a­tion für viele Menschen immer noch ein Tabuthema ist, merkten die Gründerinnen auch bei der Suche nach Investoren: Viele der von Theblood angefragten Geldgeber konnten mit dem Thema Menstruation wenig anfangen oder empfanden es als unangenehm, darüber zu sprechen. Eines der Kernziele des Unternehmens ist es nicht zuletzt deshalb, das Stigma rund um den weiblichen Zyklus zu bekämpfen und den Menschen zu zeigen, dass Menstruation nichts ist, was man verstecken muss. Theblood möchte Frauen nahelegen, sich nicht für ihre Regelblutung zu schämen, sondern dankbar für die Informationen zu sein, die durch diese Körperflüssigkeit erlangt werden können.

Ein großer Traum der beiden Gründerinnen ist es, als Expertinnen zum Thema Menstruation für Menschen auf der ganzen Welt wahrgenommen und nachgefragt zu werden. Der nächste große Meilenstein ist außerdem die zweite Finanzierungsrunde des Berliner Start-ups: Noch dieses Jahr launcht das Femtech-Unternehmen die erste Version seiner App. „In Zukunft möchte ich den Menschen zeigen, dass es endlich an der Zeit ist, die Medizin mehr an die Frau anzu­passen“, beantwortet Gründerin Santer lächelnd die letzte Frage des Forbes-Gesprächs.

Gemeinsam mit Isabelle Guenou gründete die 30-jährige Miriam Santer das Start-up Theblood und setzt dort an, wo die Medizin bisher eine Lücke gelassen hat: bei der Erforschung des weiblichen Körpers mittels Menstruationsblut – und das als erstes Unternehmen Europas.

Fotos: beigestellt

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