Optimismus als Entscheidung

Alessa Berg ist Investorin und Gründerin von Top Tier Impact, einem weltweit agierenden Netzwerk für Impact-Unternehmer, Visionäre und Führungskräfte. Die gebürtige Genferin hat es sich zur Aufgabe gemacht, Naturschutz in den Mainstream zu bringen und ihn mit harten, greifbaren Finanzkennzahlen zu belegen – damit er nicht nur messbar, sondern auch profitabel wird.

„Etwas so Abstraktes wie das Klima ist für unser Gehirn nur schwer zu begreifen“, sagt Alessa Berg im Videocall. „Selbst wenn man hört, dass die Zukunft katastrophal wird, selbst wenn man Bilder und Videos von Überschwemmungen sieht – man spürt es in der Regel nicht am eigenen Leib und ist somit nicht in der Lage, es zu verstehen.“

Die gebürtige Genferin mit brasilianischen Wurzeln hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Naturschutz nicht nur in den Mainstream zu bringen, sondern auch profitabel zu machen. Mit ihrem Netzwerk Top Tier Impact, kurz TTI, sorgt sie für den Austausch zwischen sogenannten „Impact“-Unternehmern, -Investoren und -Visionären. Der Begriff Impact lässt sich mit Wirkung übersetzen – Impact Investing ist laut der Plattform Investopedia eine Anlagestrategie, die darauf abzielt, neben finanziellen Gewinnen auch positive soziale oder ökologische Auswirkungen zu erreichen.

„Wir sind seit unserer Gründung 2019 stark gewachsen“, sagt Berg über Top Tier ­Impact. ­Ungefähr 800 Mitglieder in mehr als 50 Ländern zählt ihr Businessnetzwerk mittler­weile. Die Mitgliedschafts­gebühr beträgt 350 US-$ pro Jahr. Neben ­weltweiten Veranstaltungen und den TTI Global Impact Awards bietet TTI mit dem ausge­gründeten ­Climate-Tech-Start-up „ESG360°“ auch ­Beratungsdienstleistungen an. Der größte Umsatzkanal sei das Invest­ment­angebot in Schwellen- und Entwicklungs­ländern, so Berg. „Wir haben beispielsweise den ­Abschluss der 90-Millionen-Dollar-Investmentrunde in Wave Mobile Money unterstützt. Das war die größte Fremd­kapitalinvestition in ein ­afrikanisches Technologieunternehmen in der Geschichte“, sagt Berg. TTI agiert dabei wie eine Investmentbank und M&A-Beratung, bringt ­Investoren ­zusammen und berät bei der Durchführung der Transaktion.

Nebenbei hat sich Berg selbst einen Namen im Impact-Bereich gemacht: Auf Instagram und Linkedin folgen ihr insgesamt rund 140.000 Menschen, eine Fernsehserie von und mit ihr steht in den Startlöchern. Dabei wollte Berg ursprünglich gar nicht im Impact-Sektor gründen.

„Damals, 2019, war mir nicht bewusst, dass dies mein nächstes Unternehmen werden würde“, sagt sie. Anfangs habe sie darin kein Geschäftsmodell gesehen. „Ich habe mich einfach für den Impact-Bereich interessiert und wollte einen Beitrag dazu leisten“, erklärt sie ihre Motivation für die Gründung des Unternehmens.

Zum Impact Investing kam Berg einerseits durch ihre Angel- und Venture-Capital-Aktivi­täten, andererseits durch ihr Interesse an System­design und Systemdenken. „Je mehr ich mich ­damit beschäftigte, desto mehr dachte ich, dass das ein viel besseres Paradigma für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft sei“, sagt Berg. Sie habe das Potenzial gesehen, Impact-Denken zum Mainstream zu machen und das ganze Thema breiter anzugehen. „Diese Vision hat mich begeistert“, sagt Berg.

Das Unternehmertum liegt ihr im Blut. Die Tochter zweier Unternehmer verkaufte bereits mit elf Jahren ihre alten Kinderbücher auf der Straße. Bald lernte sie eine Freundin an, die sie dabei unterstützte. „Es war ein Spiel für mich“, erinnert Berg sich, „es kam natürlich.“ Später, als Teenager, investierte sie das verdiente Geld in die Finanzmärkte. Dabei sei es ihr nicht in erster Linie um den finanziellen Aspekt gegangen – sie habe einfach schon früh eine „systemische Sichtweise“ auf die Welt gehabt und wollte verstehen, wie die Dinge auf dem Planeten funktionieren und wie man dies verbessern und weiter­entwickeln könnte.

Mit 18 Jahren begann sie am Gardasee als Windsurflehrerin zu arbeiten. „Das ­Windsurfen hat mir eine gute Ausbildung in der ­Psychologie der Menschen gegeben“, sagt Berg heute – denn beim Windsurfen müsse man mit extremen und sich rasch ändernden Bedingungen umgehen können. „Nicht wie beim Joggen im Park“, sagt sie. Besonders spannend sei es für sie gewesen, mit den verschiedenen Menschen in ihrer Gruppe umzugehen, wenn diese unter Druck sind.

Trotz ihres Wunschs, selbst zu ­gründen, schlug Berg zu Beginn ihrer Karriere einen ­klassischen Corporate-Weg ein: ein Master­abschluss in Oxford, ein Praktikum im Bereich Mergers and Acquisitions bei Goldman Sachs, ­gefolgt von Stationen im Private-Equity-Bereich bei Blackstone und im Venture-Capital-Bereich bei Mosaic Ventures. „Mir war bewusst, dass ich mich gerade als Frau in der Wirtschaft beweisen und gewisse ‚harte‘ Fähigkeiten erlernen muss“, sagt Berg. „Deshalb habe ich mich bewusst dafür entschieden, Erfahrungen an Orten zu sammeln, an denen mich – im Vergleich zu einem Mann – niemand infrage stellen kann.“ Ihre Erfahrungen und Kontakte in der Finanzwelt ermöglichten es ihr später, Top Tier Impact zu gründen.

Die frühen Anfänge von Top Tier Impact ­waren recht formlos. Berg erzählt, sie habe zunächst ­einfach damit angefangen, Unternehmer und Unternehmerinnen sowie Investoren und Investorinnen aus den Bereichen Impact Investing und Nachhaltigkeit zusammenzubringen. „Ziel war es, dass wir alle voneinander lernen, um so nicht nur ­unser eigenes Wissen, sondern den gesamten ­Impact-Bereich voranzubringen.“

Von da an sei alles schnell gegangen. „Die Gruppe begann sich zu verselbstständigen und wuchs stark“, erinnert sich Berg an das Jahr 2019. „Irgendwann wurde mir klar, dass wir ein Netzwerk geworden sind.“ Um die Kosten zu decken, begann sie, Mitgliedsbeiträge zu verlangen. „Aber selbst dann habe ich TTI noch nicht als Geschäft gesehen, sondern eher als Geschenk an das System“, sagt Berg.

Dann legte die Coronapandemie die Welt lahm – und Berg, die sich zu diesem Zeitpunkt in Asien aufhielt, konnte nicht wie geplant nach London zurückkehren, um ihr ursprüngliches Vorhaben, „etwas im Coworking- und Coliving-Bereich zu starten“, zu realisieren. Komplett remote aufgestellt beschloss sie, sich auf Top Tier Impact zu konzentrieren und aus dem Netzwerk eine Plattform zu machen.

Es folgte die Erweiterung der Angebote und Dienstleistungen um ein Investment- und Beratungsangebot, aus dem sich schließlich auch das eigene Impact-Start-up „ESG360°“ entwickelte. „Bei ‚ESG360°‘ handelt es sich um eine Softwareplattform, die es großen Unternehmen ermöglicht, ihre ESG-Leistung und ihre ESG-Daten zu überwachen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen“, erklärt Berg. ESG steht für Environmental, Social, Governance, zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unter­nehmensführung.

Nachdem physische Treffen wieder möglich waren, wurden auch verstärkt Community-­Treffen von den inzwischen rund 30 Orts­verbänden durchgeführt. „Auch bei großen und wichtigen Konferenzen wie der Klimakonferenz COP, dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder der Climate Week sind wir regelmäßig mit Begleitveranstaltungen vertreten“, sagt Berg. Ihr Team besteht derzeit aus acht Personen.

Bergs neuestes Projekt ist eine eigene Fernsehserie mit dem Titel „Road to Utopia“, die im Frühjahr 2024 auf den Streamingplattformen Gaia TV, Amazon Prime und Apple TV gesendet werden soll. „Plötzlich war die Idee dafür da – es war einfach etwas, das passieren musste“, sagt Berg. Jede der acht Folgen der TV-Serie beschäftigt sich mit einem anderen Impact-Bereich, „zum Beispiel mit regenerativen Gemeinschaften, Psychedelika, Kreislaufwirtschaft oder alternativer Bildung“, sagt Berg.

Nach vielen Monaten des Reisens für den Seriendreh, Konferenzen und Besuchen bei den TTI-Niederlassungen richtet sich Berg ­derzeit wieder in London ein und konzentriert sich verstärkt auf die Investitionsseite.

Aktuell beschäftigt sie vor allem die Frage, wie es gelingen kann, die Natur selbst zu einer Anlageklasse zu machen, um möglichst viel Kapital für ihren Erhalt zu mobilisieren, denn: „Aus Klimasicht ist sie unser größtes Kapital“, so Berg. Und weiter: „Es gibt viele Aktivitäten auf beiden Seiten der Medaille. Es wird viel Klimaschutz betrieben und gleichzeitig viel abgeholzt. Ich frage mich, wie wir den Markt und die Finanzwelt so strukturieren können, dass sich das Gleichgewicht ­zugunsten des großflächigen Naturschutzes verschiebt.“

Historisch gesehen habe es zwei Wege gegeben, Geld für den Naturschutz zu ­mobilisieren: durch Philanthropie und – in den letzten zehn Jahren – zusätzlich durch Emissionshandel. Beides sei nicht ideal, so Berg, denn Philanthropie habe ein begrenztes Kapital und der Emissionshandel habe „endlose Probleme“.

„Investitionen in Natur und Naturschutz sollten nicht nur eine Steuer auf eine negative Externalität sein, wie es heute beim Emissionshandel der Fall ist“, sagt Berg. Vielmehr müsse man Teile der Natur mit einem „Store of ­Value“, zu Deutsch Wertspeicher, vergleichen, ­ähnlich wie Gold oder Kryptowährungen. Ein Wert­speicher ist laut dem Corporate Finance ­Institute ein ­Vermögenswert, eine Währung oder eine Ware, die ihren Wert über einen längeren Zeitraum ­behält. Ein Gegenstand gilt als Wert­speicher, wenn sein Wert entweder stabil ist oder im Lauf der Zeit steigt, aber nicht abnimmt.

„Nehmen wir zum Beispiel Gold: Gold hat einen Wert, weil wir ihm einen Wert zuschreiben. Es ist eine mentale Vereinbarung. Mit Krypto ist es genauso. Wir haben uns einfach darauf geeinigt, dass wir Kryptowährungen aufgrund ihrer zugrunde liegenden Eigenschaften und ihrer Knappheit einen Wert zuschreiben“, sagt Berg. Mit der Natur könnte es genauso sein – „nur dass die Natur tatsächlich einen inhärenten Wert hat, der zudem jedes Jahr steigt.“

Würde man die Natur als Wertspeicher und damit als Anlageklasse betrachten und nicht als negative Externalität, wäre laut Berg viel gewonnen. Bleibt die Frage, wie man „die Natur“ in entsprechend handelbare Einheiten zerlegen und messbar machen kann, ohne dass es zu Betrug kommt, wie es in der Vergangenheit mehrfach beim Handel mit CO2-Emissionszertifikaten geschehen ist.

Europa ist jedenfalls laut Berg bestens aufgestellt, um als Nachhaltigkeitsmodell für die ganze Welt voranzugehen. „Die Nachhaltigkeitsverordnung der EU ist das umfassendste Regelwerk seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt sie. „Damit nimmt Europa eine Vorreiterrolle ein.“ Auch europäische Assetmanager und Fonds, die früh ESG- oder Nachhaltigkeits-Scorings eingeführt hätten, seien für den Rest der Welt richtungs­weisend, doch es gebe noch viel zu tun, gerade auch für Unternehmen in der DACH-Region.

Die Nachhaltigkeitsverordnung der EU ist das umfassendste Regelwerk seit dem Zweiten Weltkrieg.

Alessa Berg

Auf die Frage, ob sie sich angesichts der ­Klimaberichte manchmal frustriert und ohnmächtig fühle, antwortet Berg: „Optimismus ist eine Entscheidung.“ Aber dieser Optimismus dürfe nicht blind sein: „Man muss sich mit den Reports auseinandersetzen, sich informieren, hinschauen und vor allem lernen, auch hinzu­fühlen.“ Denn nur, wenn wir auch die ­negativen Seiten betrachteten, könnten wir tatsächlich sachkundige Entscheidungen treffen, so Berg.

Da das Fühlen bei einem komp­lexen System wie dem Klima schwer ist, braucht es mehr Koordination auf Systemebene, um positive Veränderungen zu bewirken. Und: Es braucht mutige Vorbilder wie Alessa Berg.

Die Schweizerin Alessa Berg gründete ihr erstes Unternehmen im Alter von elf Jahren. Nach ihrem Master in Oxford lernte sie bei Goldman Sachs, Blackstone und Mosaic Ventures, sich in der männerdominierten Finanzbranche durchzusetzen. Mit ihrem etwa 800 Mitglieder starken Investmentnetzwerk Top Tier Impact will sie Nachhaltigkeit zum Mainstream machen.

Text: Insa Schniedermeier
Fotos: beigestellt

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