Um jeden Preis

Als erste Schweizerin gewann die 26-jährige Belinda Bencic 2020 in Tokio eine olympische Goldmedaille im Tennis – es folgten exklusive Werbeverträge und Preisgelder in Millionenhöhe. Nur der Sieg auf dem berühmtesten Rasen der Welt blieb ihr bis jetzt noch verwehrt.

In ihrem bequemen Sweater-Look wirkt Belinda Bencic im Zoom-­Interview nicht so, als hätte der Olympiasieg in Tokio viel Eindruck auf die Tennisspielerin gemacht. Sie wirkt entspannt, lacht viel und wählt ihre Worte sorgfältig – ein ­Profi nicht nur auf dem Rasen, sondern auch im Umgang mit Medien. Erfolgreiche Tennisspieler sind Großverdiener. Die Forbes-­Liste der Bestverdienerinnen im Sport wird von Tennisspielerinnen angeführt: An der Spitze steht die Ja­panerin Naomi Osaka mit einem geschätzten Vermögen von 50 Mio. ­US-$, gefolgt von Serena Williams mit 41 Mio. ­US-$. Bencics Preisgeld ­dürfte sich mittlerweile auf elf Mio. US-$ belaufen; sollte sie dieses Jahr ein Grand-Slam-Turnier gewinnen, kommen noch mal bis zu zwei Mio. US-$ dazu. „Man darf nicht glauben, dass alle Tennisspielerinnen Millio­nä­rinnen sind. Schließlich müssen wir während unserer Wettkämpfe für alle Kosten selbst aufkommen“, so Bencic. Aber eins ist sicher: Die Zeiten, in denen sich Bencic nur ­billige Hotels und Fast Food leisten konnte, gehören der Ver­gangenheit an. Bencic ist inzwischen eine ­Person der Öffentlichkeit mit zahlreichen Fans. Sie ist zur ­Marke geworden und versteht es, sich selbst zu inszenieren: Auf Instagram postet sie Reisebilder von den Male­diven, vom Wellnessurlaub in den Alpen oder lässig im Mercedes. Trotz entspannter Haltung sagt sie: Der härteste Kampf läuft nach dem Wettkampf weiter – der Kampf mit den eigenen Selbstzweifeln und den Erwartungen; den Erwartungen ihrer Eltern, ihrer Fans oder auch jenen an sich selbst, immer und überall die Beste zu sein. „Es wäre schön, einmal nicht am Morgen aufzu­wachen und sich vor Nervosität fast übergeben zu müssen“, so Bencic. Seit Langem hat sie deshalb auch einen Mental­coach in ihrem Team, der ihr hilft, die psychischen Belastungen des Wettkampfs zu meistern.

Dies hilft ihr vor allem auch dabei, mit medialer Kritik umzugehen, und die geht auch mal unter die Gürtel­linie: ,,Pummellinda statt Pretty Belinda“ hieß es schon in der Aargauer Zeitung. Bencic musste deshalb früh lernen, sich eine dicke Haut zuzulegen. „Wenn du gerade auf einer Erfolgswelle bist, liebt dich die Presse, aber sobald du verlierst, bist du bei ihnen untendurch.“ Trotz gewonnener Medaillen geht Bencic mit sich selbst hart ins Gericht: Man sei im Profitennis nur wirklich jemand, wenn man auch auf dem legendären Centre Court in Wimbledon reüssieren könne. „Natürlich will ich endlich einen Grand-Slam-Titel holen, das ist der größte Wunsch eines jeden Tennisspielers, und ich werde alles tun, damit er Wirklichkeit wird“, so Bencic.

Bei allem Ehrgeiz nimmt die Sportlerin das Thema Freizeit aber sehr ernst. „Man muss sich stets bewusst machen, dass man immer noch ein Mensch ist und die gleichen Bedürfnisse hat wie andere auch“, so die 26-Jährige. Dazu gehören für sie lange Spaziergänge mit ihren Hunden und ihrem Freund, der auch ihr Trainer ist: ,,Viele ­halten es für problematisch, Privates und Berufliches trennen zu können, aber da er mich auf Touren begleiten kann, funktioniert es optimal.“

Serena und Venus Williams, Iga Swiatek, Naomi Osaka – es gibt kaum eine Spielerin aus der Top-Ten-Liste, die Bencic nicht ge­schlagen hat, aber gegen einen Gegner scheint sie einfach nicht anzu­kommen: ihren eigenen Körper. Ob Fuß, Handgelenk oder Steißbein, ihre Verletzungsmisere zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Karriere. Es wirkt fast so wie ein natürliches Axiom im Tennis: Je näher man zur Spitze vordringt, desto anfälliger wird man. Wimble­don 2016, die French Open 2020 oder die Australian Open 2022 – immer ­musste Bencic kurz vor Turnier­beginn absagen. 2017 verletzte sie sich so gravierend am Handgelenk, dass sie sich ein halbes Jahr Auszeit nehmen ­musste. Sie fiel auf Platz 318 im globalen Ranking zurück, jenseits jeg­licher Bedeutsamkeit – und die goldene Fassade der Sportlerin begann zu bröckeln.

Bencic stand bereits als Zweijährige auf dem Tennisplatz.

Es begann damit, sich von ihrem Vater abzunabeln, um ihre eigenen sportlichen Wege zu gehen. Ivan Bencics mühevoll aufgebautes Lebenswerk, sein ­genialer Masterplan, drohte zu scheitern. Gleich­zeitig beendete sie auch nach 14 Jahren die Zusammenarbeit mit ihrem Sponsor Marcel Niederer und zog sich bewusst aus der Öffent­lichkeit zurück. Diese Zeit bestand ­weniger aus Tennistraining als vielmehr aus intensiver Meditation, Tanzen und ersten künstlerischen Gehversuchen. Es schien, als wäre Bencic nur ein weiterer Tennis­star, dessen Licht nun ausgebrannt war.

Aus dieser Krise wäre sie wohl nie mehr ­zurückgekehrt, hätte sie damals nicht Martin Hromkovic kennengelernt: Bencics Fitness­trainer und späterer Lebensgefährte zog sie aus der Versenkung und schmiedete aus ihr olympisches Gold: In Tokio, 2020, als die meisten Menschen in ­trister Isola­tion waren, schrieb Bencic ­Tennisgeschichte. Sie gewann als erste Schweizerin Gold im Damen-Einzel. Lachend und weinend lag sie damals am Boden und sagte zur New York Times: „Wenn ich jetzt meine Karriere beenden würde, wäre ich immer noch glücklich, denn was ich heute erreicht habe, kann mir keiner mehr ­nehmen.“

Angefangen hat sie früh – ­bereits im Alter von zwei ­Jahren stand die Schweizerin auf dem Tennis­platz. Ihr Vater Ivan ­Bencic, Sohn slowakischer Einwanderer, wich nicht von ihrer Seite. „Mein Vater war bei jedem Training dabei und ­musste immer so lange mit mir spielen, bis ich ihn schließlich ­besiegte. Ich war schon damals keine gute ­Verliererin“, erzählt ­Bencic. Ihr Vater war selbst in seiner Jugend ­erfolgreicher Eishockeyspieler, weshalb ­Medien häufig kritisierten, er nutze ­seine Tochter, um sich seinen eigenen Traum von Olympia zu verwirklichen.

Er war es auch, der am ­Rande des Tennisplatzes jede Bewegung seiner Tochter verfolgte. Und er überzeugte Marcel Niederer, einen Freund aus Eishockeyzeiten, vom „Projekt Belinda Bencic“. ­Niederer, der Millionen mit dem Verkauf von Instantkaffee verdient ­hatte, beschloss, sein Geld nun in eine Sechsjährige zu investieren. ­Daraufhin setzten Bencics Eltern alles auf eine Karte: Sie kündigten ihre Jobs und zogen um, damit Bencic in der Tennis­akademie von Melanie Molitor, Mutter von Martina Hingis, trainieren konnte. „Meine Eltern haben ihr Leben für meines ­pausiert und mir war früh bewusst, was für eine große Verantwortung ­damit verbunden ist“, so Bencic. Bald schon zeigten sich die ersten ­Erfolge: Mit 15 gewann sie die Junioren-Meisterschaft in Wimbledon und ­etablierte sich weltweit als Nummer eins ­ihrer Altersklasse. Mit den Titeln kamen hoch dotierte Werbeverträge mit Rolex, Nike und Mer­cedes-Benz.

Verzichten muss ­Bencic dennoch in vielen Bereichen ihres Lebens: Jede Mahlzeit wird proto­kol­liert und erfolgt in Ab­sprache mit ihrem Ernährungs­coach; Zeit für die Familie bleibt kaum. Bencic: „Ich bin fast elf ­Monate im Jahr unterwegs. Weihnachten und Geburtstagsfeiern mit der Fa­milie fallen dann flach“ – der Preis für den Sieg eben.

Text: Helene Hohenwarter
Fotos: Asics Promo Pictures

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