Die Zukunft des E-Commerce: mobil, unterhaltsam, nachhaltig

Das Online Geschäft boomt und wird es auch weiterhin tun: In den letzten drei Jahren hat der weltweite Umsatz im Onlinehandel um knapp 70 % zugenommen und wird Schätzungen zufolge bis Ende des Jahres knapp fünf Billionen US-$ erreichen, bis 2025 sollen es weitere 50 % sein. Damit einhergehend entstehen einige Trends, die die nächsten Jahre des E-Commerce prägen werden.

M-Commerce & Connected Devices: Die Tore zum Online Shopping

Mobile Commerce ist kein neuer Trend, sondern zunehmend der Normalzustand: Wurden laut bitkom 2014 online Käufe überwiegend mit dem Laptop oder dem PC abgewickelt, nahmen im Laufe der Zeit mobile Devices immer mehr an Fahrt auf – Ende 2021 sollen sie 54 % im E-Commerce ausmachen, in vielen Kategorien sind es bereits mehr als 75%. Dieser Trend wird sich weiterhin verstärken. Durch Sprachassistenten wie Alexa und Siri gewinnt auch Voice Shopping mehr und mehr an Bedeutung. Laut einer Studie von PwC nutzten 2019 bereits 11 % der Deutschen und 8 % der europäischen Verbraucher für ihre Einkäufe mindestens einmal wöchentlich Sprachassistenten. Zwischen 2020 und 2022 soll der Gebrauch noch einmal um 205 % ansteigen, so Sapio Research. Zudem gaben 27 % der Deutschen an, sich vorstellen zu können, spätestens in fünf Jahren mindestens einmal täglich etwas über ein Connected Device (z. B. Smartwatches) zu bestellen. Um den größtmöglichen Nutzen aus diesem Trend zu ziehen, sollten Onlinehändler ihre digitalen Angebote dahingehend optimieren, dass Einkäufe über sämtliche Devices schnell, bequem und problemlos abgewickelt werden können.

Kommende Technologien: „Beamen” mit Augmented Reality

Große Unternehmen wie Ikea haben das Potenzial von AR nicht erst seit gestern für sich entdeckt: Mit der App „Ikea Place” setzte das schwedische Möbelunternehmen 2017 als erstes Einrichtungsunternehmen auf die Technologie und ermöglicht es seither Kunden, Möbelstücke direkt ins Zimmer zu „beamen“ und per Knopfdruck Bilder oder Videos des AR-Erlebnisses via Social Media an Freunde teilen. In einer Studie von Snapchat und Foresight Industry, eine führende Agentur für Consumer Trends, wurden weltweit  20.000 Verbraucher nach ihrem Einkaufsverhalten befragt. Bereits 16% der Käufer verwendeten AR beim Online-Einkauf und weitere 38% sind daran interessiert, dies in Zukunft zu tun. Schätzungen zufolge wird der Anteil der Gen Z-Käufer, die AR vor dem Kauf eines Produkts nutzen, in weniger als fünf Jahren um 57 % steigen (von 23% im Jahr 2021 auf 36% im Jahr 2025).

Auch im Modesektor hat sich die letzten Jahre einiges getan: Das Münchner Start-up Presize hat beispielsweise mittels AI eine mobile Body-Scan-Technologie entwickelt, mit der jeder Konsument die passende Kleidergröße bei online Bestellungen findet. Presize löst somit das große Problem, dass bis zu 50% der Bestellungen von Kleidungsstücken wieder zurückgesendet werden. Überhaupt ist AI einer der wichtigsten Technologie-Trends im Onlinehandel, denn die Technologie ist vielseitig einsetzbar. So ermöglicht sie es beispielsweise, aus Big Data sinnvolle Erkenntnisse zu Kundenpräferenzen abzuleiten und Unternehmen wie Lufthansa und Zalando setzen auf AI-basierte Chatbots als Einkaufsassistenten – letzteres arbeitet zudem mit Google zusammen und lässt Konsumenten virtuelle 3D Fashion Designs kreieren.

Zudem werden Blockchains und damit einhergehend Kryptowährungen und Non-Fungible Tokens (NFTs) künftig vermehrt eine Rolle im Onlinehandel spielen. Bereits 2019 reichte Nike ein Patent für Schuhe ein, um sie in Form von NFTs verbriefen zu können und Buffalo kreierte mit The Fabricant einen Sneaker, der als NFT verkauft wurde. 51% der Verbraucher weltweit würden laut der Snap-Studie den Kauf eines virtuellen Produkts in Betracht ziehen. 24% haben bereits eines gekauft, hauptsächlich um Rabatte auf reale Produkte derselben Marke zu erhalten. Über die Hälfte der Befragten wusste übrigens nicht, was ein NFT ist, nur 20% gaben an, sich diesbezüglich gut auszukennen – davon waren 42% daran interessiert, eines zu besitzen.

Hybrid Commerce: das Beste aus zwei Welten

Im Zuge der Pandemie waren von Einzelhändlern kreative, digitale Konzepte gefragt: von Click and Collect, über Facetime-Kaufberatungen bis hin zu WhatsApp-Shopping. Laut einer Studie des Softwareunternehmens Salesforce gaben 10 % bzw. 7 % der befragten Kunden an, überhaupt erst im Zuge von Covid-19 darauf aufmerksam geworden zu sein, Produkte online zu reservieren und sie anschließend im Shop abholen zu können bzw. sie im Shop zu reservieren und nach Hause liefern lassen zu können. Die on- und offline Kanäle verschmelzen immer mehr und dabei sollte das Markenerlebnis durchweg konsistent sein – online wie offline, über alle Kanäle und Geräte hinweg.

Das Kölner Handels-Start-up Blaenk etwa, das mit dem europäischen Innovationspreis für Handel 2020 ausgezeichnet wurde, setzt auf ein hybrides Konzept, bei dem Kunden im Store über QR-Codes weitere Informationen zu den Produkten einholen und sie in den digitalen Einkaufswagen legen können. Die Waren können dann vor Ort mitgenommen oder nach Hause versandt werden. Einen Onlineshop haben sie natürlich zusätzlich. Nur in zwei getrennten Kanälen zu denken, ist fatal – die Vorteile digitaler Technologien und Anwendungen sind auch beim Einkauf vor Ort gefragt.

Plattformen werden stärker: alles aus einer Hand

In 2020 wurden mehr als die Hälfte der Onlineverkäufe in Deutschland über Amazon Marketplace (34 %) und dessen Eigenhandel (19 %) getätigt. Plattformen wie Amazon haben durch Netzwerkeffekte ein Schwungrad geschaffen: Auf Kundenseite sind die Plattformen beliebt, weil sie unterschiedliche Anbieter an einem Ort bündeln, schnelle Produkt- und Preisvergleiche möglich sind und sie sich vor dem Kauf mittels Rezensionen über das Produkt informieren können. Für Verkäufer – und gerade für kleinere bis mittelgroße Händler – bieten sich damit gute Möglichkeiten, kosteneffizient viele Kunden zu erreichen, Komplexität in der Logistik zu reduzieren und zu skalieren. So entsteht ein Schwungrad, dass Plattformen wie Amazon  oder das chinesische AliExpress weiter wachsen lässt. Wir bei Thrasio, dem größte Aggregator von Amazon FBA Businesses, glauben an weiteres Wachstum in diesem Kanal. Deshalb investieren wir auch weiter in die Akquise und das Wachstum von  Marken auf Plattformen wie Amazon.

Georg Hesse
...ist Vice President Großbritannien und Deutschland bei Thrasio. Er blickt auf 16 Jahre Erfahrung in der Einführung, im Aufbau und der Leitung von Amazon-Kategorien im Hartwaren-Bereich in Europa zurück, Nach seiner Zeit  bei Amazon war er CEO des börsennotierten Online-Reiseunternehmens HolidayCheck Group AG und beriet eine Reihe von Start-ups, darunter auch Thrasio.

Social Commerce: Ein Like für Online Shopping

Social Commerce, der Verkauf von Produkten über Social Media Plattformen, wird neben den klassischen Marktplätzen der wichtigste neue Shopping-Kanal werden.  Die Einkäufer der Zukunft sind Millennials und Gen Z, die mit Social Media sozusagen aufgewachsen sind. Laut KPMG vertreten diese Generationen grundsätzlich die Meinung, das Produkt müsse zum Kunden kommen und nicht anders herum. Schon heute können über Instagram und Facebook Produkte von online Shops aufgerufen werden, über eine Weiterleitung zur Website der Händler können sie anschließend gekauft werden. In China und den USA entfällt dieser letzte Schritt bereits, bezahlt wird nun innerhalb der Plattformen und die integrierte Messaging-Funktion wird zudem für CRM genutzt.

Auch TikTok wird immer interessanter für den Onlinehandel: Nicht nur, weil sich die Plattform in Q2 diesen Jahres bezogen auf Downloads und Consumer Spend auf Platz eins befindet, sondern auch, weil sie 2020 mit „TikTok for Business” eine Werbeplattform einführte und es ermöglichte, Produkte im Stream anzuzeigen – Live-Stream-Shopping gehört auch zum Repertoire. Als Nächstes sollen Unternehmen die Möglichkeit erhalten, Verkaufs- und Werbemitteilungen über Videoclips einzublenden sowie die direkte Promotion von Produkten zu vereinfachen.

ByteDance, die TikTok-Muttergesellschaft hat erklärt, bis 2022 E-Commerce-Umsätze von über 185 Milliarden US-Dollar anzustreben. Auch das wertvollste europäische Fintech, Klarna, machte kürzlich mit dem Zukauf der Social-Shopping-Plattform Hero auf sich aufmerksam. Mit Hero sollen die an Klarna angebundenen Händler Inhalte, Bewertungen und Echtzeit-Beratungen sowie Tools für Verkaufsshows anbieten können.

Bereits eine Generation weiter als die westliche Konkurrenz ist WeChat: Der chinesische Messenger zählte im ersten Quartal 2021 über 1,2 Milliarden Nutzer weltweit und vereint Echtzeit-Messaging, Social Networking, Shopping, Rechnungen bezahlen und weitere Funktionen – der Alltag kann sozusagen komplett über eine App gemanaged werden. Überhaupt zeigt China dem Rest der Welt, in welche Richtung Social Commerce sich weiterentwickeln kann. Ein Stichwort lautet Gamification. KFC setzte beispielsweise bereits 2018 auf virtuelle Stores bei WeChat: Jeder konnte dort seinen eigenen virtuellen KFC-Shop kreieren – kauften andere WeChat-Nutzer dann in den sogenannten „Pocket-Shops” ein, wurden Rabatte für physische Filialen freigeschaltet.

Ein weiterer wichtiger Baustein im Bereich Social Commerce sind Influencer. Bereits seit einigen Jahren setzen Händler auf “KOLs” (Key Opinion Leaders), um ihre Produkte zu vermarkten. Waren Unternehmen in den letzten Jahren auf Influencer mit Millionenreichweite aus, sind zunehmend sogenannte Microinfluencer (< 100.000 Follower) von Interesse, da sie kostengünstiger sind und dennoch eine ordentliche Reichweite in speziellen Themengebieten aufweisen. Das Geschäft mit Influencern blüht, nur werden Unternehmen verstärkt darauf achten müssen, welche Influencer wirklich zur Marke passen und einen Mehrwert für Follower kreieren. Denn die Studie „Influencer Marketing 2020“ von Influencer Intelligence und Econsultancy zeigt, dass Digital Natives mehr Authentizität und Relevanz von den Influencern fordern. Demnach werden sich diejenigen durchsetzen, die genau diese Forderungen erfüllen und deren Profil gut zu den jeweiligen Unternehmen passt. Seit Neuestem sind Influencer zudem selbst Produktanbieter – Deutschlands erfolgreichste Fitnessinfluencerin Pamela Reif etwa verkauft seit 2020 mit Naturally Pam unter anderem ihre eigenen Proteinriegel. Auf den sogenannten „Creator Economy“-Trend setzt auch Pietra: Das amerikanische Unternehmen bietet ein Full-Service-Angebot für Influencer – von der Konzeption, über Herstellung bis hin zum Versand wird alles übernommen. Und selbst wer kein Influencer ist, kann mittlerweile Einfluss auf die Produkte bekannter Marken nehmen: Lego beispielsweise etablierte eine Plattform, auf der Fans eigene Ideen vorstellen können. Die von der Community beliebtesten Kreationen wurden von Lego geprüft und anschließend vermarktet.

Personalisierung und Shopping-Erlebnis: Der Kunde im Mittelpunkt

Shopping ist heute mehr denn je kundenzentriert - und der Trend wird weiter zunehmen. Vor allem im Service wird vermehrt auf digitale Dienste zurückgegriffen: Ob WhatsApp-Beratungen, Chatbots oder Zoom-Streams – laut bitkom lässt sich mittlerweile jeder Fünfte online beraten, 59% nutzten dabei Text-Chat mit einem Mitarbeiter.

Durch maschinelles Lernen wird es zunehmend möglich, maximal personalisierte Customer Journeys zu ermöglichen – sei es über auf den Kunden zugeschnittene Anzeigen, Inhalte oder Angebote. Bereits 2019 stellte der Softwareanbieter Actico in einer Umfrage fest, dass 41% der Kunden es als Zeitverschwendung ansehen, wenn Angebote nicht für sie personalisiert sind. Anbieter wie Zalandos Zalon oder Outfittery haben unlängst Personalisierung mit Abomodellen verknüpft: Monatlich werden aufgrund persönlicher Präferenzen auf Abobasis Pakete mit Outfits verschickt. Auch in anderen Branchen gibt es Aboanbieter – etwa Glossybox für Beautyprodukte oder im Bereich Food&Beverage Aboboxen des Hamburger Start-ups Foodist. Laut des US-amerikanischen Softwareherstellers Bazaarvoice haben sich während der Pandemie 19% der befragten Kunden aus Frankreich, Deutschland, Kanada, Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA für ein Produktabo angemeldet, 83% nutzen den Service auch weiterhin. In der Pandemie konnte vor allem auch die Lebensmittelbranche einen Boom an Online Bestellungen verzeichnen – ob Gorillas, Flink oder der durch Oetker übernommen Getränkelieferer Flaschenpost: das Geschäft boomt und der Trend wird laut Branchenexperten auch künftig andauern.

Neben einer weitestgehenden Personalisierung kommt dem Kauferlebnis eine bedeutende Rolle zu – und damit sind nicht fehlerfreie Bestellvorgänge, schöne Websites und eine schnelle Bezahlung gemeint, sondern Erlebnisse, die über das Produkt und den Bestellvorgang hinausgehen. Der Hamburger Online Modeversandhändler About You, der erst kürzlich an die Börse ging, hat das beispielsweise von Beginn an verstanden: Mittlerweile gehören Festivals, TV-Shows und eine eigene About You Fashion Week zu dessen Portfolio.

Fulfillment und Nachhaltigkeit: Damit die Rechnung aufgeht

Kunden wünschen sich schnelle Lieferungen und Zustellungsmethoden, die nicht Ihre Anwesenheit erfordert. Daneben werden auch autonome Fahrzeuge künftig Pakete zum Zielort transportieren. Start-ups wie Livingpackets bieten zudem intelligente Zustellboxen an, die über eine Internetverbindung, eingebaute Sensoren und eine Kamera verfügen, damit das Paket via App verfolgt und dessen Zustand im Blick behalten werden kann. Verpackungsmüll wird hier reduziert, da die Boxen nicht verkauft, sondern ausgeliehen und wiederverwendet werden sollen.

Überhaupt ist Nachhaltigkeit für Kunden ein zentraler Aspekt und wird laut einer Studie von KPMG immer wichtiger: 2011 gaben 76% der Befragten an, beim Einkaufen auf Nachhaltigkeit zu achten, 2019 waren es 81%, 85% informieren sich selbstständig über Nachhaltigkeit. Und laut bitkom würden gerne 86% der Befragten Mehrwegkartons benutzen, 61% ist es wichtig, wo und unter welchen Umständen ein Produkt produziert wurde und immerhin 27% bzw. 37% gaben an, sie würden der Umwelt zuliebe weniger Produkte bestellen bzw. für die CO2-Kompensation gerne einen Aufpreis zahlen.

Einige Unternehmen setzen bereits auf den Trend Recommerce: Der schwedische Modeversandhändler Na-kd beispielsweise hat mit Circle einen eigenen Secondhand-Shop etabliert und die österreichische Online-Plattform Refurbed, die Handys, Tablets und Laptops erneuert, erfreut sich ebenfalls großer Beliebtheit (Refurbed konnte seinen Umsatz 2020 auf über 100 Millionen verdreifachen).

E-Commerce der Zukunft: Chancen für Unternehmen mit klarem Fokus

All diese Entwicklungen im E-Commerce führen letztlich zu einem in Zukunft besseren und nachhaltigeren Einkaufserlebnis für die Kunden. Immer mehr zeigen dabei die großen chinesischen Social- und E-Commerce Plattformen, wohin die Reise geht.

Die Möglichkeiten zur Differenzierung, die sich durch die rasant entwickelnden Technologien auch für deutsche Händler ergeben, sind vielfältig. Allerdings besteht auch das Risiko, sich vor lauter innovativen Experimenten zu verlieren. Gerade traditionellere Handelsunternehmen werden oft von eifrigen Beratern in Richtung teurer Trend-Innovationen getrieben, bevor sie ihre Grundlagen (die „Basics”) optimiert haben. Wenn es aber mit den grundlegenden Eigenschaften des Webshops (kurze Ladezeiten, klares Design, ausführlicher Content, zuvorkommender Kundenservice...) noch nicht funktioniert, dann füllt auch keine Augmented Reality die Umsatzlücke. Die Könige im E-Commerce sind in Zukunft mehr denn je: die Kunden. Erfolgreich wird sein, wer sich auf deren Bedürfnisse fokussiert.

Gastkommentar: Georg Hesse
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