Falco is back

Mit sieben Jahren floh Ehsan Zadmard von Afghanistan nach Österreich – ohne Geld und ohne Deutschkenntnisse. 21 Jahre später verhandelte er mit dem größten Stahlkonzern der Welt über ein Management-Buy-out. Jetzt startet Zadmard als E-Mobilitätsunternehmer durch.

Ehsan Zadmard hat ein dynamisches Auftreten, ist modisch gekleidet und spricht eloquent – am liebsten über eine Zukunft, in der autonomes Fahren und effiziente Ladestationen den Straßenverkehr beherrschen. In seiner Vision spielen die futuristischen Erfindungen seines 2019 gegründeten Start-ups Alveri eine große Rolle. Dazu zählt der weltweit erste funktionsfähige, vollautonome und mobile Lade­roboter, genannt Alveri Charbo, der in Zusammenarbeit mit der Salzburg AG vermarktet wird und derzeit auf Schneelage und Nebelsicht getestet wird.

Ein weiteres Highlight ist die Entwicklung des ersten österreichischen Elektroautos, des Alveri Falco. Dieses Fahrzeug basiert auf dem Prinzip des Refurbishings, das bisher vor allem aus der IT-Branche bekannt ist. Obwohl ­Zadmard und sein zwölfköpfiges Team seit knapp vier Jahren daran arbeiten, ist das Projekt noch lange nicht abgeschlossen. Immer wieder wurden die Pläne überarbeitet und die Produktion auf unbegrenzte Zeit nach hinten verschoben.

Alveris Unternehmenssitz ist in Ried im Innkreis, ­einer 12.500 Einwohner zählenden Stadt im Westen Oberösterreichs, in der Zadmard auch aufwuchs. Hier ­tüfteln er und sein zehn Jahre ­jüngerer Bruder Jaqub, der die ­Position des Chief Operating ­Officers innehat, jeden Tag unermüdlich an der Weiter­entwicklung ihrer Elektromobilitäts­lösungen und der Optimierung der Lade­infrastruktur. „Wir wollen einfach selbst gestalten, nicht nur Passagiere sein und irgendwo rum­sitzen. Wir wollen Innovationen nach vorne treiben“, sagt Zadmard. Der 34-Jährige scheint im Leben nur den Vorwärtsgang zu kennen – stellt sich die Frage, woher dieser Drive kommt.

Die Alveri-App wird aktuell überarbeitet, um sich nach Finalisierung als zentrale Mobilitätsplattform zu etablieren.

1996 war ein richtungsweisendes Jahr für die Familie Zadmard. In ihrer Heimat Afghanistan herrschte Krieg, die Taliban rückten auf die Hauptstadt Kabul vor. Die ­Eltern – die Mutter Lehrerin, der Vater General – wurden wegen ihrer demokratischen Gesinnung zu Staatsfeinden erklärt und mussten mit ihren vier Kindern flüchten. Sie strandeten in Österreich und starteten bei null: ein unbekanntes Land, eine fremde Sprache, eine andere Kultur. Dem siebenjährigen Ehsan war bewusst, dass er schwierigere Voraussetzungen hat als seine Klassenkameraden. Weil kein Geld für Füllfedern vorhanden war, griff der Volksschüler kurzerhand zu einem Kugelschreiber. „Auch wenn man nicht das beste Equipment hat, kann man trotzdem kreativ werden, etwas anderes nutzen, und man kommt zu denselben Ergebnissen“, er­innert er sich – ein Leitsatz, der ihm in seinem Leben immer wieder hilft, schwierige Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen.

Der ehrgeizige Schüler lernte schnell Deutsch und konnte seine Schullaufbahn nach eigenen Vorstellungen gestalten. Im Jahr 2009, seinem Abschlussjahr an der Handelsakademie, absolvierte er ein Ferialpraktikum im oberösterreichischen Unternehmen Eisen Wagner. Beim 300 Mitarbeiter starken Betrieb, der zum weltgrößten Stahlkonzern Arcelor Mittal gehört, hinterließ Zadmard einen ­bleibenden Eindruck: Der ­Geschäftsführer bot ihm an, direkt nach der ­Matura als Vollzeitangestellter ­zurückzukehren. Zadmard nahm das Angebot an und startete berufsbegleitend das englischsprachige Masterstudium Global Sales and Management an der FH Steyr. „Das ist eine Doppelbelastung – du hast wenig bis keine Freizeit und bist ständig unterwegs. Ich war in einer Führungsposition im Unternehmen auch sehr stark eingespannt, aber es war die mit Abstand lehrreichste Zeit meines Lebens“, sagt er heute.

Die Strapazen zahlten sich aus. Er schloss das Studium erfolgreich ab und wurde in den High Potential Pool von Arcelor Mittal aufgenommen. „Ich habe meine Master­arbeit über M&As geschrieben, konkret Post-Major Acquisitions, und habe dann gleichzeitig ein Management-Buy-out gemacht. Das heißt, ich habe die Theorie gleich in die Praxis umsetzen können“, erzählt ­Zadmard ­lächelnd.

Seine Aufgabe bestand da­rin, zu ermitteln, welche Mög­lichkeiten es für die Abteilung Technischer Handel gab, die nicht zum Kerngeschäft des Konzerns gehörte. Dabei kam Zadmard zu dem Schluss, dass der Verkauf nicht rentabel genug wäre und das Behalten der Abteilung auch keine Option darstellte, weshalb er ein Management-Buy-out vorschlug. Die verantwortlichen Manager betrachteten den Vorschlag als zu riskant und lehnten ab. Infolgedessen entschied sich Zadmard, das Projekt eigenständig voranzutreiben. Der damals 26-Jährige erstellte einen Businessplan und beantragte bei einer Bank eine Finanzierung in siebenstelliger Höhe. „Ich habe relativ schnell die Geschäftsführung plus die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Bereich davon überzeugen können, dass es die beste Alternative und die sinnvollste Lösung ist, das so zu machen. Sie sind zu 100 Prozent hinter mir gestanden und haben mir vertraut“, so Zadmard heute. Zwischen 2016 und 2019 leitete er die Geschicke der Eisen Wagner Technischer Handel GmbH.

Um sich voll auf sein Traumprojekt Alveri konzentrieren zu können, übergab er die Ge­schäfts­führung seinen jüngeren Brüdern Taregh und Issa. „Ich bin nach wie vor ­Gesellschafter des Unter­nehmens. Es funktioniert sehr gut. Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass ich den beiden blind vertrauen kann“, sagt Zadmard. Das gilt auch für seinen jüngsten Bruder Jaqub, mit dem er seit Mai 2019 das ­Future-Mobility-Start-up Alveri lenkt. „Er hat oft andere Ansichten als ich, somit ergänzen wir uns da perfekt. Wir haben oft gehört, dass sich Leute nicht vorstellen können, mit ihren Geschwistern zusammenzuarbeiten – wir sehen es als ­Luxus und genießen jeden Tag“, meint Zadmard.

Am Beginn drehte sich ­alles um die Herstellung des ersten österreichischen E-Autos. Die Verlaut­barung des Namens Falco im Jahr 2021 ließ Medien und Investoren aufhorchen. Die Präsentation des Fahrzeugkonzepts samt Veröffentlichung des Renderings, das dem Tesla Model 3 ähnelte, sorgte für Aufregung bei Österreichs Auto­liebhabern. Doch die Markt­einführung des Austro-Flitzers ließ auf sich warten. Zadmard störte ein Problem, das als größte Schwachstelle von Elektroautos angesehen wird: Die Entsorgung von Elektroautos birgt Herausforderungen wie das Recycling von Batterien, die Entwicklung effizienter Recyclingtechnologien, höhere Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Autos und die Notwendigkeit einer umfassenden Entsorgungs­infrastruktur. „Bevor wir das Auto und neue Antriebsstränge produziert haben, wurde das ganze Konzept noch mal überdacht“, so Zadmard, der die ­Fragen, die damals zum Umdenken geführt haben, offenbart. „Es waren Gedanken darüber, was mit dem Fahrzeug passiert, wenn es das Ende seines Lebenszyklus erreicht hat. Was genau passiert dann? Was sind die Ideen? Es muss Antworten darauf geben, bevor das Auto überhaupt erzeugt wird.“ Es entstand die Idee, dass Falco ein Refurbishing-Fahrzeug werden soll. „Das ­bedeutet, dass wir alle Bauteile in wenigen Stunden erneuern können. Wir schieben einen zweiten und wenn nötig einen dritten Lebens­zyklus ein“, erläutert Zadmard. Das Re­furbishing-Konzept würde zahl­reiche Vorteile – darunter eine längere ­Produktlebensdauer, Kosten­einsparungen, neue Geschäfts­modelle für Werkstätten und vor ­allem eine erhebliche Reduzierung des ökologischen Fuß­abdrucks – bieten.

Der Wunsch vieler Auto­käufer, einen Neuwagen zu fahren, wird damit ausgebremst. Es bleibt abzuwarten, ob sich Zadmards Behauptung, dass insbesondere in städtischen Gebieten Carsharing künftig dominieren wird und es für die Nutzer ­irrelevant ist, ob das Fahrzeug alt oder neu ist, bewahrheitet.

Ohnehin hat laut ihm aber der Ausbau der Ladeinfrastruktur oberste Priorität und ist der Entwicklung des E-Autos vorgeschoben. „Energiemanagement ist unser großes Thema. Das ist auch der Grund, warum wir strategische Partner und Investoren im Energie­bereich haben – weil wir zu 100 Prozent davon überzeugt sind, dass die Mobilität der Zukunft und die Energie der Zukunft ein Sektor ist, den man ganzheitlich denken muss“,
so Zadmard. Diesbezüglich soll
„vernünftige Ladeinfrastruktur angeboten werden, sodass jeder in ­Österreich, der möchte, auf E-­Mobilität umsteigen kann.“ Vereinfacht bedeutet das also: Falco lebt – wenn er in ganz Österreich genügend Energie bekommt.

Die neueste Innovation ist der Alveri Chardi, abgeleitet von Charging Distributor. Er soll ein Garant für Energieeffizienz werden. Das Produkt soll eine schnelle und ein­fache Skalierung der Ladeinfrastruktur ermöglichen, betont Zadmard. Dabei konzentriert sich der Chardi auf die smarte Verteilung und effiziente Nutzung der bereits vorhandenen Netzkapazitäten. Interne Tests wurden bereits durchgeführt. „Wir befinden uns jetzt in der vier- bis sechsmonatigen Testphase, in der das Produkt von unseren Testkunden vor Ort auf Herz und Nieren getestet wird“, so Zadmard. Die Testkunden sind Logistik- und Transportunternehmen, die ihre E-Auto-Flotte damit auf­laden.

Sollte sich Chardi ­bewähren, wäre das eine große Errungenschaft, denn nur mit einem Gleichstrom-Lade­gerät können mehrere Fahrzeuge intelligent aufgeladen werden. Vor dem Beginn des Ladevorgangs haben Nutzer die Möglichkeit, Daten wie ihre Abfahrtszeit und spezifische Ladewünsche einzugeben. Zudem können sie den Lade­prozess in Echtzeit verfolgen. Die optimale Reihenfolge der Lade­vorgänge wird dabei mithilfe ­eines Algorithmus festgelegt. Zuerst ­sollen Geschäftskunden bedient ­werden, später soll das Produkt auch in Wohn­anlagen und an Straßen vorhanden sein. Zadmard: „Unser Ziel ist es, die Lade­infrastruktur bereits zu installieren, bevor die Nachfrage von Mieterinnen und Mietern nach Elektro­fahrzeugen entsteht. Dadurch wollen wir sicherstellen, dass eine umfassende Ladeinfrastruktur ­vorhanden ist, ohne die Netzkapazitäten zu erhöhen.“

Alveris E-Auto Falco ist als Refurbishing-Fahrzeug geplant, bei dem einzelne Teile rasch austauschbar und erneuerbar sind.

Alveri arbeitet bei allen Pro­dukten auf langfristige Ziele hin – schnelle Erzeugnisse passen weder ins Konzept noch in die Philosophie des Teams. Zum jetzigen Stand der Elektromobilität ist anzunehmen, dass Chardi früher zum Einsatz kommt als Charbo, ein Lade­roboter, der erst relevant wird, wenn menschliche Handgriffe nicht mehr notwendig sein werden. Auf die Frage, ob Charbo in absehbarer Zeit die Kasse klingeln lässt, winkt Zadmard lächelnd ab: „Der wird noch länger keinen Umsatz bringen, weil das ein Zukunftsprodukt ist.“ Ihn interessieren ganz andere Themen als schnelles Geld: „Wie können wir das Fahrzeug so lange wie möglich draußen halten, dass es für uns gewisse Arbeiten verrichtet, ohne dass wir dort vor Ort sind? Wie werden diese Fahrzeuge angesteckt? All diese Fragen werden auf uns zukommen. Der Laderoboter ist am Ende des Tages ein Enabler für das autonome Fahren“, stellt er klar.

Kritikern, die Alveris Produkte als Science-Fiction-Rohrkrepierer bezeichnen, macht Zadmard eine klare Ansage: „Das, was wir machen, ist, die Zukunft der Mobilität mitzugestalten, Innovationen auf den Markt zu bringen. Wir haben einen ganz klaren Vorsprung in der Technologie und Erfahrungswerte, die andere dann erst sammeln müssen.“ Am Ende des Gesprächs entwirft er erneut ein Bild seiner Traumzukunft und zeigt dabei eine idealistische Sichtweise: „Unsere absolute Priorität liegt derzeit auf der Infrastruktur. Das bedeutet, dass wir daran arbeiten, es allen Menschen leicht zu machen, ihre Elektrofahrzeuge aufzuladen; nicht nur Leuten in gut situierten Haushalten, wo eine Lade­station problemlos in der Garage installiert werden kann, sondern auch jenen, die in Mietwohnungen leben oder mit begrenztem Budget auskommen müssen. Unser Ziel ist es, nachhaltige Mobilität für alle zugänglich und erschwinglich zu machen, und darauf konzentrieren wir uns intensiv“, betont Zadmard.

Im ­Fe­bruar 2023 wurde in Ried im Innkreis die erste Alveri-Lade­säule aufgestellt.

Das im Jahr 2019 von Ehsan Zadmard gegründete Start-up Alveri entwickelt Elektromobilitätslösungen wie den Laderoboter Charbo und das Elektroauto Falco. Ziel ist es, eine umfassende Ladeinfrastruktur aufzubauen und durch innovative Technologien die Zukunft der Mobilität zu gestalten.

Fotos: Robert Maybach

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