Zum Greifen nahe

Als Nummer acht der Weltrangliste hat sich der Österreicher Dominic Thiem an der Spitze des internationalen Tennissports etabliert.

Dass er auch die „Großen“ schlagen kann, hat er bewiesen. Doch um ganz nach oben zu kommen, braucht er vor allem noch Konstanz. Wir sprachen mit Thiem in einer seiner wenigen Trainingspausen über Leistungsdruck, Freundschaften– und ein alles überstrahlendes Ziel.

Der deutsche Fußballspieler Per Mertesacker sprach kürzlich in einem viel beachteten Interview mit dem Spiegel über den enormen Leistungsdruck im Profisport. Konnten Sie sich mit seinen Aussagen identifizieren?
Es gibt natürlich schwierige Tage, doch die schönen überwiegen. Natürlich ist es ein hoher Druck, mit dem wir umgehen müssen – aber ein guter. Wir spielen ja nicht um Leben und Tod, sondern um Punkte, Preisgeld und Prestige. Man trägt selbst die Verantwortung dafür, was der Druck mit einem macht.

Ist der Druck durch Ihre Leistungen in den letzten Jahren gestiegen?
Es ist logisch, dass sich durch bessere Leistungen auch höhere Erwartungen ergeben. Früher hat niemand auf mich geschaut; kleine Turniere, keine Zuschauer. Heute interessieren sich viele Leute für meine Spiele. Doch genau da wollte ich ja hin, also in der Öffentlichkeit stehen und so gut Tennis spielen, dass sich die Menschen für mich interessieren und ich die großen Turniere spiele.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer bisherigen Saison?
Nicht ganz. Es gab Hochs, etwa den Turniersieg in Buenos Aires im Februar oder das Finale in Madrid im Mai, und auch einzelne gute Matches. Aber es waren definitiv mehr Tiefs dabei, als ich von mir erwarte. Was ich jetzt tun kann, ist weiterarbeiten, vor allem daran, dass ich gute Leistungen konstanter abrufe. Was passiert, wenn meine Leistung passt, hat man in Madrid gesehen (Thiem besiegte dort Topspieler Rafael Nadal, Anm.). Generell spiele ich aber nicht so gut, wie ich spielen will. Doch ich trainiere gut, das kann sich also von einer auf die andere Woche wieder ändern.

Vor der Saison sagte Ihr Trainer Günter Bresnik, dass Sie an Ihrer Positionierung sowie am Aufbau Ihrer Punkte arbeiten müssen. Was heißt das konkret?
Es geht darum, in jeder Situation den richtigen Schlag zu spielen, mit dem richtigen Drall, dem richtigen Tempo, der richtigen Platzierung. Meine Schläge sind sehr gut, aber der beste Schlag nützt nichts, wenn du ihn im falschen Moment einsetzt. Und was definitiv noch besser werden muss, ist meine Position auf dem Platz. Ich muss näher an die Grundlinie gehen, den Ball früher nehmen. Sogar Rafael Nadal, der früher extrem weit hinten gestanden ist, rückt immer mehr auf. Das ist eine Grundvoraussetzung im modernen Tennis, da geht es um Offensive, um Druck und um per­manente Aggressivität.

Lässt sich diese enorme ­Ag­gressivität bei so vielen Spielen in einer Saison überhaupt durchhalten?
Das zu lernen ist ein Prozess, der bei mir mit elf, zwölf Jahren begonnen hat. Das geht schon relativ gut, aber es geht auch da um die letzte Konstanz, eben auch in schwierigen Situationen aggressiv zu bleiben. Da zeigt es sich dann, da entscheidet es sich.

Was fehlt aktuell noch, um in der Weltrangliste noch ganz nach oben zu klettern?
Auch da wieder: Konstanz, Konstanz, Konstanz. Ich muss auf allen Belägen und das ganze Jahr hindurch durchgehend Leistungen auf dem Niveau bringen, das ich von mir erwarte. Konkret also: auf schnelleren Belägen und in der Halle besser werden. Und in der zweiten Jahreshälfte das Level der ersten halten.

Ich habe mir meine Ziele so hoch gesteckt, dass es ein Titel bei einem ATP World Tour Masters 1.000 oder Grand Slam sein muss.

Ist dieses Durchhaltevermögen eine Sache der Fitness?
Nicht der körperlichen Fitness, da gehöre ich zu den Besten. Seit ein paar Jahren lege ich im Dezember mit einem Konditionsblock eine extrem solide Basis. Es geht eher darum, während des Jahres die Zeit zu finden, zwischendurch wieder zum Auffrischen kleine Fitnessblöcke einzuschieben. Der Turnier­kalender ist schon extrem eng geworden.

Wollen Sie also in Zukunft weniger Turniere spielen?
Das muss man immer auch aus der Situation heraus entscheiden, wie es bei den Turnieren läuft. Aber tendenziell ja.

Das Programm wird immer dichter. Ist das ein grund­legendes Problem des Sports?
Wir müssen uns nichts vormachen, Sport ist Show. Das heißt: Je mehr Programm geboten wird, desto besser ist es für Medien und Sponsoren. Daher ist diese Entwicklung eigentlich normal. Doch wir Spieler wären schon froh über eine etwas kürzere Saison. Das würde auch Sinn ergeben, man muss sich nur die Qualität der Matches ansehen: Die ist am Jahresende einfach nicht mehr so gut wie zu Beginn, da sind alle mehr oder weniger müde.

Sie verstehen sich mit Spielern wie Philipp Kohlschreiber oder David Goffin angeblich gut. Sind das echte Freundschaften?
Richtig gute, enge Freunde, mit denen man über wirklich alles reden kann, die kann es auf der Tour nicht geben. Wir sind am Ende noch immer Konkurrenten. Ich mag ein paar Spieler sehr gerne, Philipp Kohlschreiber etwa, Sascha Zverev oder David Goffin – mit denen verstehe ich mich wirklich gut. Aber Freundschaft und Konkurrenz zu verbinden geht eben nur bis zu einem gewissen Grad.
Eine Ausnahme wäre, wenn Dennis Novak (österreichischer ­Tennisspieler, Anm.) in die Top 100 oder Top 50 kommt. Diese Freundschaft würde dann natürlich bestehen bleiben.

Novak Djokovic und Roger Federer haben sich ehemalige Stars als Trainer an Bord geholt. Sie selbst arbeiten noch immer mit Günter Bresnik, der Sie schon in Kindheitstagen trainierte. Wird es in Ihrem Team ebenfalls Verstärkungen geben?
Günter ist der beste Trainer, den ich mir wünschen kann. Er kennt mich extrem gut, hat ein unglaublich gutes Auge dafür, woran wir gerade arbeiten müssen. Er wird mein Trainer bleiben, solange ich Tennis spiele. Aber natürlich kleben wir nicht 52 Wochen im Jahr zusammen. Zu Turnieren reise ich auch mit anderen Coaches, früher mit Gary Muller oder Joakim Nyström, jetzt mit Galo Blanco – das sind alles sehr erfahrene Ex-Profis.

Was könnte die Saison noch zu einer guten machen?
Mich interessiert eher „sehr gut“! (lacht) Das würde für mich heißen: ein großer Titel, also bei einem ATP World Tour Masters 1.000 oder einem Grand-Slam-Turnier. Einmal ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen ist mein ultimatives Ziel.

Gibt es unter diesen vier Turnieren irgendeinen Favoriten?
Ich habe keine Präferenz. Jedes der vier Grand-Slam-Turniere ist auf seine Art überragend.

Dominic Thiem ist ein 30 Under 30 Alumni 2018. Mehr über Dominic Thiem lesen.

Dieser Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2018 „30 Unter 30“ erschienen.

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