Women of Wall Street

Frauen sind in der Finanzindustrie immer noch in der Minderheit, vor allem auf Führungsebene. Aber einige haben sich auf den Weg gemacht, so wie die 28-jährige Lauren Simmons. Andere, wie Cathie Wood, sind ganz oben angekommen und gehören bereits zur Finanzelite; Wood gilt als „beste Investorin der Welt“. Auch in den Boards der großen Wall-Street-Banken sitzen inzwischen Frauen – und sind Vorbilder für die nächste Generation.

Das Parkett des Trading Floors der New Yorker Börse glänzt honigfarben. Viele Trader laufen in Sneakers oder polierten Lederschuhen hin und her. Und dann war da kurzzeitig, 2017, ein Paar High Heels, und zwar von der Sorte der ganz hohen. Lauren Simmons war berühmt-berüchtigt für ihre ganz eigene Interpretation des Dresscodes auf dem Börsenparkett. Der hat sich für die Männer über die Jahrzehnte geändert – Frauen dürfen nach wie vor keine Turnschuhe oder sportlichen Schuhe anziehen.

Lauren Simmons, damals erst 22 Jahre alt, war die jüngste und erst zweite afroamerika­nische Händlerin in der Geschichte der New Yorker Börse. Sie arbeitete damals für das Trading- und Finanzinstitut Rosenblatt Securities. Das Modemagazin Harper’s Bazaar betitelte sie als „Wolfette of Wall Street“, in Anlehnung an den Film „Wolf of Wall Street“; auch bei CNBC, Business Insider, Entrepreneur und Dutzenden weiteren Medien machte sie Schlagzeilen.

Der Rummel um Simmons wurde vielen Kollegen zu bunt. Manche klagten, es sei nicht fair, dass Simmons so viel Aufmerksamkeit bekomme, „nur, weil sie eine schwarze Frau“ sei. Ihre Qualifizierungen und Examen wurden in Zweifel gezogen. Simmons musste sich gegenüber Medien und Kollegen rechtfertigen und die Vorwürfe widerlegen.

Am Ende gab sie auf. Simmons zog sich vom Trading Floor zurück. Viele Kollegen bei Rosenblatt Securities sagten, sie hätten die Kollegin „immer unterstützt“. Doch Simmons erwidert, die Atmosphäre auf dem Trading Floor sei für sie nicht angenehm gewesen. „Ich war verwirrt, dass die Leute sich nicht einfach für mich einsetzen und freuen konnten“, klagt die Händlerin. Und vermutet: „Die wollten einfach nicht, dass ich erfolgreich bin.“

Stattdessen hat die inzwischen 28-Jäh­rige weiter an ihrer Karriere gefeilt, fernab der Wall Street. Sie zog von New York nach Los Angeles, wo sie in Brentwood lebt, einem der wohlhabendsten Viertel der Westside zwischen Westwood und Santa Monica. Auf dem Börsenparkett verdiente sie 12.000 US-$ im Jahr. Nach ihrem Abschied beschloss sie, keinen Job mehr für ein Jahresgehalt unter 120.000 US-$ anzunehmen. Auch Angebote von zwei Wall-Street-Investmentbanken schlug sie aus. Stattdessen gründete sie die Lauren Simmons LLC. Dort vermarktet sie sich selbst als Autorin, Produzentin, Podcasterin („Money Moves“) und TV-­Moderatorin, als Angel-Investorin für Start-ups und Vorstandsmitglied mehrerer Finanzunter­nehmen. 2022 sei sie 650.000 US-$ wert, sagt
ihr Management.

Ihr Einkommen bezieht sie aus Vorträgen (durchschnittlich zwei pro Monat), auch Spon­soring-Gigs sind besonders lukrativ. Sie partnert zum Beispiel mit der National Basketball Association, Tradingplattform Robinhood, Wellnessplattform Isagenix, aber auch Consumerbrands wie McDonald’s und Pureleaf. So hat sie 2021 650.000 US-$ mit Partnerschaften eingenommen. 2018 kaufte AGC Studios außerdem die Rechte an Simmons’ Leben und wird es verfilmen. Schauspielerin Kiersey Clemons wird Simmons spielen. Simmmons ist aber auch selbst vor der Kamera, sie moderiert die Streamingserie „Going Public“. Ihr Nettovermögen geht nun auf die eine Millionen Dollar zu, sagt ihr Management (800.000 Dollar).

Frauen sind im Finanzsektor eine Minderheit, vor allem an der Spitze. Conrad Ciccotello, Direktor der Reiman School of Finance, erklärt: Je höher man auf der Führungsleiter aufsteige, desto weniger Frauen gebe es. In dem von Männern dominierten Finanzdienstleistungs­sektor gebe es 46 % Mitarbeiterinnen, aber nur 15 % der Führungspositionen seien von Frauen besetzt. Frauen bekleideten maximal 9 % der Führungspositionen in Venture-Capital- oder ­Private-Equity-Unternehmen. Nur 11 % schafften es in Chefetagen bei Hedgefonds, und nur 23 % der Vorstandsmitglieder großer Finanzdienst­leister weltweit seien weiblich.

Warum das so ist? Das ist gleichzeitig die wichtigste und heikelste Frage. Die Finanz­branche ist größtenteils männlich – und bleibt deshalb so. „Es gibt immer noch eine ‚Bro-­Kultur‘, die Frauen diskriminiert“, sagt Sandra Navidi, CEO und Gründerin der Unternehmensberatung Beyond Global LLC. Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet die Deutsche als Wall-Street-Expertin und makroökonomische Beraterin und ist eine der wenigen Frauen im Machtzentrum der globalen Hochfinanz.

Navidi hat in der Wirtschaft sogenannte „Super Hubs“ identifiziert – besonders gut vernetzte Menschen, die vor allem auch private Beziehungen und Freundschaften zueinander pflegen. Diese globalen Netzwerke und vor allem die privaten Beziehungen zueinander verleihen ihnen finanziell, wirtschaftlich und politisch sozusagen „Supermacht“.

Mit ihren Entscheidungen bewegen sie täglich Billionen auf den Finanzmärkten und haben somit direkten Einfluss auf Industrien, Arbeitsplätze, Wechselkurse, Rohstoffe oder die Preise unserer Lebensmittel. Navidi und Forscher der Universität Missouri identifizierten 147 die­ser Super Hubs – dazu zählen zum Beispiel Milliardär George Soros, JPMorgan-Chef Jamie Dimon und Larry Fink, Chef von Blackrock, dem größten Vermögensverwalter der Welt. Und es ist nur eine Handvoll Frauen darunter, zu ihnen zählt etwa IWF-Chefin Christine Lagarde. 2016 veröffentlichte Navidi ein Buch zu dieser Studie. Was heißt der Frauenmangel in Führungsetagen? „Er bedeutet, dass Frauen in der Regel bis heute nicht in dem Maße an die Netzwerke, die Macht und die Informations­kanäle angeschlossen sind wie Männer“, so Navidi. Und deshalb sehe man auf der Einstiegsebene erst einmal mehr Vielfalt, mehr Frauen oder Minderheiten – aber je höher man in der „Nahrungskette“ aufsteige, desto weniger Frauen gibt es. Das bestätigt auch die Studie von Conrad Ciccotello. „Die Diskriminierung ist zwar subtiler geworden, weil die Gesetzgebung Mitarbeiter zunehmend davor schützt – was sie aber genauso unangenehm macht, vielleicht sogar teilweise unange­nehmer, und einen schlechten Einfluss auf die Karriere der Frauen hat“, sagt Navidi.

Genau deswegen sind Geschichten wie die von Lauren Simmons umso eindrucksvoller – sie hat es ohne Vorbilder geschafft. Inzwischen ist sie selbst eines, und sie ist nicht das einzige: Nach einer Umstrukturierung bei JPMorgan deutet alles darauf hin, dass, wenn CEO Jamie Dimon in den Ruhestand geht, seine Aufgaben an eine von zwei Frauen gehen könnten: die jüngste Finanzchefin der Welt, Jennifer Piepszak, oder Marianne Lake, die vor Piepszak Finanzchefin war. Beide sind 51 Jahre alt und wurden 2021 zu Co-Leiterinnen der großen Verbraucher- und Gemeinschaftsbank ernannt.

Auch die New Yorker Börse, eines der ­modernsten und zugleich beständigsten Symbole des Kapitalismus, wird weiblicher. Präsidentin ist die Informatikerin Lynn Martin; auch vor ihr beklei­dete den Posten eine Frau, Stacey Cunningham. Und am 6. Dezember 2021 wurde die Afroamerikanerin Sharon Bowen zur Vorsitzenden ernannt – die erste schwarze Frau, die diese Position in der 229-jährigen Geschichte der Börse innehat.

Helfen diese Entwicklungen? Absolut, sagen sowohl Simmons als auch Navidi. Bowen selbst sagt: „If you can see it, you can be it.“ Bowen hat eine sehr erfolgreiche Karriere in den Bereichen Recht, Finanzen und im öffentlichen Dienst hingelegt. „Sie hat es immer verstanden, strategisch Freundschaften zu schließen und Menschen das Gefühl zu geben, dass sie Teil des Entscheidungsprozesses sind. Das ist eine großartige Eigenschaft“, sagt Michele Penzer, Partnerin bei der Anwaltskanzlei Latham & Watkins, die Bowen seit ihrer Zeit als junge Mitarbeiterin kennt.

Neben ihr an der Spitze der New Yorker Börse steht Präsidentin Lynn Martin. Jeff Sprecher, Chairman und CEO des Börsenbetreibers Intercontinental Exchange (ICE), erinnert sich an das erste Gespräch mit Martin 2013, kurz nachdem ICE die Börse für 8,2 Mrd. US-$ übernommen hatte. Martin hatte bis dahin im börsennotierten Derivategeschäft gearbeitet und verriet Sprecher während eines Gesprächs, dass sie gerne eine bedeutende Rolle in dem fusionierten Unternehmen übernehmen wolle.

„Ich erinnere mich daran, wie mutig und entschlossen sie war“, sagt Sprecher. „Das gefiel mir an ihr.“ Später trat sie in die Fußstapfen von Stacey Cunningham. Diese wurde am 22. Mai 2018 zur Präsidentin der NYSE ernannt, als erste amtsinhabende Frau in der 226-jährigen Geschichte der Börse. Im November 2018 nahm die BBC sie in die Liste der 100 Frauen auf. Im Dezember 2021 gab sie bekannt, dass sie von ihrer Rolle als NYSE-Präsidentin zurücktreten und in den NYSE-Verwaltungsrat eintreten werde.

Berühmt und an der Wall Street berüchtigt für ihre wagemutigen und erfolgreichen Investments und ihren unerschütterlichen Glauben an Tesla-Aktien ist Cathie Wood, die auch die beste Investorin der Welt genannt wird. Sie gründete 2014 die Investmentgesellschaft Ark Invest, die vor allem ETFs anbietet, die in Tech-Aktien wie Tesla, Coinbase und Zoom investieren. Wood erwies sich in der Pandemie als begnadete Stockpickerin. Sie erlangte über Nacht Berühmtheit, nachdem ihr Ark Innovation Fund dank seiner Tesla-Beteiligung eine Rendite von mehr als 152 % erzielte.

Wood ist seitdem auch ein Guru für Kleinanleger und bekannt dafür, dass sie auf die sogenannten „disruptiven Technologien“ wie künstliche Intelligenz, saubere Energie und Blockchain setzt. In diesem Jahr sind ihre ETFs allerdings eingebrochen – doch Wood macht das nicht nervös. „Ich bin ziemlich kampferprobt und sage jedem, der mir zuhört: ‚Behaltet einfach den Preis im Auge!‘“, so die Investorin.

Die wollten nicht, dass ich erfolgreich bin.

Lauren Simmons

Geduldig sein und nur in das investieren, was man auch wirklich versteht: Diese Anlagestrategie gilt als weiblich – und könnte Frauen sogar zu den besseren Anlegerinnen machen. Die Autorin und Finanzjournalistin Lou Ann Lofton zeigt in ihrem Buch aus dem Jahr 2011 „Warren Buffett Invests Like a Girl – And Why You Should, Too“ eindeutige Parallelen zwischen Buffetts Strategien und der Art und Weise, wie Frauen an Investitionen herangehen.

Doch auch auf Investorenseite sind zwar mittlerweile mehr Frauen als früher, aber ins­gesamt weniger Frauen als Männer zu finden. 48 % der Frauen investieren derzeit in den Aktienmarkt, verglichen mit 66 % der Männer. Und sie haben weniger finanzielle Bildung im Bereich Investment. „Oft wird Mädchen schon in jungen Jahren mehr über Sparen und Budgetierung gelehrt, wenn es um Finanzen geht, während Jungs mehr über Investitionen und Kreditratings und den Aufbau von Vermögen lernen“, sagt Tiffany Lam-Balfour von Nerd Wallet. Das zeigt, dass Männer und Frauen manchmal schon in jungen Jahren auf einen unterschiedlichen Weg gebracht werden.

Genau da setzt Sallie Krawcheck an, eine weitere weibliche Wall-Street-Größe. Sie war in der Führung von sowohl Citi als auch Merrill Lynch aktiv – vor sieben Jahren verließ sie die Welt der großen Banken. Krawchecks Ziel ist es heute, geschlechtsspezifische Investmentlücken zu schließen und damit auch Abhängigkeiten zu lösen und mehr Geld in die Hände von Frauen zu bringen. Die Erfolgschancen der Finanzexpertin schienen sehr gering, denn in Pitch-Meetings rund um das Thema sei sie immer wieder mit dem Satz „Frauen brauchen keine eigene Investitions­plattform!“ konfrontiert worden.

Heute verwaltet Sallie Krawchecks Plattform Ellevest ein Vermögen von 1,5 Mrd. US-$. Ellevest gehört zu den am schnellsten wachsenden Fintech-Unternehmen für Verbraucher. In der Series-B-Finanzierungsrunde hat die Firma 53 Mio. US-$ eingesammelt. Ellevest wurde von CNBC als einer der „Top-50-Disruptoren“, von Linkedin als eines der „Most Sought After Start-ups“ und vom Entrepreneur Magazine als eine der „Top 100 Brilliant Ideas“ ausgezeichnet. Krawcheck selbst meldet sich immer wieder bei ihren Instagram-Followern mit kurzen Tipps. In einer Videobotschaft sagt sie: „Die Wall Street hat so etwas noch nicht gesehen.“ Auch die Veränderungen in Vorständen der Banken und der Börse weisen auf einen Umbruch hin, den die Finanzwelt und die Wirtschaft dringend brauchen.

Es gibt immer noch eine ‚Bro-Kultur‘, die Frauen diskriminiert.

Sandra Navidi

Lauren Simmons wurde im Alter von 22 Jahren als Angestellte des Trading- und Finanzinstituts Rosenblatt Securities die jüngste und erst zweite afro­amerikanische Händlerin in der Geschichte der New Yorker Börse.

Fotos: Ethan Pines

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Deputy Editor in Chief

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