Auto-Pilotin

Humanising Autonomy möchte autonomen Fahrzeugen beibringen, menschliches Verhalten richtig zu interpretieren. Gelingt dies, könnte es den Verkehr in Großstädten revolutionieren.

Die Wiener Ringstraße am Freitagnachmittag, es ist Rush Hour: Motorradfahrer schlängeln sich an den Autos vorbei, Fußgänger laufen über die Straße, um die Straßenbahn zu erwischen. Alle wollen möglichst schnell an ihr Ziel gelangen, es herrscht Chaos. Autofahrer müssen im Alltag vieles im Auge behalten. Fast unmerklich analysieren sie Tag für Tag das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer und Fußgänger.

Künftig sollen das weltweit autonome Fahrzeuge für die Autofahrer übernehmen. In der Automobilbranche spricht man längst von der „autonomen Revolution“, die den Straßenverkehr besser, effizienter und vor allem sicherer machen soll. Dabei gibt es verschiedene Autonomiestufen – von eins bis fünf. Derzeit befinden sich die meisten autonomen Fahrzeuge auf den Levels zwei (Funktionen wie das automatische Einparken oder Spurhalten werden von Assistenzsystemen übernommen, Anm.) und drei (der Fahrer muss das System nicht ständig überwachen, Anm.). Diese sehen meist noch einen Fahrer vor, der vom autonomen System unterstützt wird.

Nun hat Kalifornien im April ein neues Zeitalter der Automobil­geschichte eingeläutet: Dort dürfen Autos seither ganz ohne Lenker und Pedal auf die Straße und gehören damit zu Fahrzeugen mit der höchsten Autonomiestufe, fünf. Experten sind sich sicher, dass dies nur der Anfang ist. Längst arbeiten verschiedene Unternehmen wie Daimler, Audi oder BMW an der fahrerlosen Revolution. Dabei ist Sicherheit eines der Themen, bei dem noch viele Fragen offenbleiben. Und genau dort setzt das Londoner Start-up Humanising Autonomy an. Autonome Fahrzeuge sollen nicht nur erkennen, dass sich Menschen auf der Straße befinden – das Team geht noch einen Schritt weiter: Autonome Fahrzeuge sollen menschliches Verhalten künftig so lesen können, wie Menschen, die gerade ein Auto lenken.

Die Österreicherin Maya Pindeus, CEO von Humanising Autonomy, hat das Start-up gemeinsam mit ihren ehemaligen Universitätskollegen, Raunaq Bose und Leslie Nooteboom, gegründet. „Wir arbeiten daran, mit einer Fülle von ausgewerteten Daten und Informationen eine Prognose-Plattform zu errichten“, sagt Pindeus. Denn jeder Mensch verhalte sich unterschiedlich, je nachdem wo er sich befindet. „Die Menschen in London überqueren zum Beispiel sehr häufig bei Rot die Straße während jene in Wien hier vorsichtiger sind.“

Das Team arbeitet unter anderem mit psychologischen Modellen, die Verhaltenskontexte in Beziehung setzen sollen. „Wir Menschen haben jahrelang gelernt, andere Menschen zu interpretieren“, sagt Pindeus, „das möchten wir nun den Fahrzeugen beibringen.“ Dabei geht es um ganz einfache Fragen des menschlichen Verhaltens beim Überqueren einer Straße, bis hin zu komplexeren, schwer zu erkennenden Situationen – wie zum Beispiel bei Menschen mit Behinderungen, die Hilfe oder einen speziellen Transport benötigen. Der Fokus des Unternehmens liegt dabei auf dem urbanen Verkehr.

„Autonome Fahrzeuge wurden bisher immer an eher abgelegenen Orten getestet, die nicht sehr optimal für die Herausforderungen im Stadtverkehr sind“, sagt Pindeus, „unsere Modelle basieren auf dem urbanen Verkehr von Städten wie Delhi, London oder Shanghai.“ Wenn Fahrzeuge Menschen „lesen“ könnten, dann würde sich die gesamte Infrastruktur der Städte verändern, so Pindeus. Diese könnten dann zum Beispiel umweltfreundlicher werden, weil der Verkehr effizienter gestaltet ist.

Die Software, die Humanising Autonomy entwickelt, muss in die gesamte autonome Software des jeweiligen Autoherstellers implementiert werden. Diese Software erkennt dann die menschliche Körpersprache, die Bewegungen und sie kann auch erkennen, wo sich der Mensch im Umfeld des Fahrzeugs befindet. Und das Londoner Team arbeitet permanent an präziseren Modellen.

„Wir entwickeln gleichzeitig auch Verhaltensmodelle, die uns über Verhaltenswahrscheinlichkeiten und Risiken informieren sollen.“ Dafür filmt das Unternehmen, in Kooperation mit anderen Autoherstellern, den Straßenverkehr in London. Danach werden Hierarchien entwickelt. „Alle diese Daten helfen uns genauere Vorhersagemodelle zu entwickeln“, sagt Pindeus. Wenn autonome Fahrzeuge bessere Vorhersagen treffen können, dann können sie Menschen auch schneller von A nach B befördern. Das Konzept und die Software von Humanising Autonomy hat längst auch das Interesse internationaler Autobauer geweckt. Derzeit sei das Start-up in Verhandlungen mit den meisten deutschen Automobilunternehmen, aber auch mit jenen in den USA und in China gebe es Kollaborationen und Partnerschaften. Mehr möchte Pindeus aber noch nicht verraten.

Seit knapp einem Jahr arbeitet das Unternehmen mit dem Auto­riesen Daimler zusammen und analysiert für den Daimler Mobilitätsforscher Alexander Mankowsky unterschiedliche Szenarien im Bereich fahrerlose Taxis. Mankowsky und Pindeus haben sich bei dem Tech-Festival Ars Electronica in Linz kennengelernt. Dort erhielt Humanising Autonomy den STARTS Prize 2017. Der Daimler-Zukunftsforscher Mankowsky saß in der Jury. Das Konzept von Humanising Autonomy fand er spannend und gab dem Unternehmen den ersten Industrieauftrag.

„Heute wird in den Städten recht viel wertvoller Platz zur Regelung des Verkehrs verbraucht“, sagt Mankowsky, „Leitplanken oder Spuren nehmen Raum ein, der nicht anderweitig genutzt werden kann.“ In den 80er-Jahren hatte der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman mit seinem „Shared Space“-Konzept eine Alternative aufgezeigt, die sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Monderman hatte die Idee, auf viel befahrenen Straßen eine Art Verkehrsanarchie einzuführen. Fehlen die Regeln, würden sich Menschen automatisch vorsichtiger verhalten, glaubte Monderman. „Hier lag die Verantwortung alleine beim Blickkontakt mit dem Fahrer, was nicht in jeder Lage ausreicht“, sagt Mankowsky.

Mit automatisierten Fahrzeugen gebe es nun aber einen Neuanlauf, der Mondermans Idee wiederaufleben lässt. Der große Vorteil sei hier, dass automatisierte Fahrzeuge über eine 360-Grad-Rundumsicht verfügen, um ihre Umgebung wahrzunehmen. „Mein Wunschbild für die Zukunft in diesem Zusammenhang ist: Aus dem Neben- und Gegeneinander der verschiedenen Verkehrsmittel wird durch Interaktion ein kooperatives Miteinander werden“, sagt der Daimler-Mobilitätsforscher. Dennoch gebe es noch viel zu tun, sagt Mankowsky: „Nicht alles kann automatisiert werden. Beispielsweise muss einer Person mit Rollator oder in einem Rollstuhl auch im selbstfahrenden Taxi geholfen werden. Da müssen wir über die Automatisierung hinausgehende Lösungen erarbeiten.“

Auch Pindeus denkt schon weiter. Menschen mit Behinderungen oder Ältere, für die es einschüchternd ist, die U-Bahn zu benutzen, könnten mit autonomen Fahrzeugen besser an ihr Ziel kommen: „Wenn das Fahrzeug die Bedürfnisse einer Person erkennt und Sicherheit gewährleistet, können autonome Fahrzeuge auch hier viel leisten. Dazu müsste man natürlich auch den Innenraum so gestalten, dass das Fahrzeug zwischen unterschiedlichen Modi, wie zum Beispiel mehr Komfort oder mehr Platz, wechseln kann.“

Vor zwei Jahren hat sie gemeinsam mit ihren Studienkollegen vom Imperial College und Royal College of Art in London ein wissenschaftliches Projekt gestartet. Die Ausgangsfrage lautete: Wie kann man Interaktion in Städten auf natürliche Weise gestalten? Schnell einigten sich die damaligen Studenten auf das Thema autonomes Fahren. Nachdem sie das Projekt abgeschlossen hatten, gründeten sie vor zwei Jahren das Unternehmen Humanising Autonomy. Begonnen habe alles mit Förderungen und Stipendien, dann wurde Geld über Fundraising gesammelt, bis auch Investoren auf das Unternehmen aufmerksam wurden. Heute, zwei Jahre später, arbeiten Pindeus und ihr Team an der Zukunft des autonomen Autoverkehrs mit.

Aber wie wird die Mobilität der Zukunft überhaupt aussehen? Mankowsky beschäftigt sich damit seit Jahren: „Automatisierte Fahrzeuge in der Art, wie wir es mit unserem Forschungsfahrzeug F015 gezeigt haben, werden den Menschen Zeit geben, sich während der Fahrt zu erholen – zumindest auf den Strecken, die auf Karten hochwertig digitalisiert sind.“

 

Maya Pindeus
… ist Architektin, Designerin und Ingenieurin mit Fokus auf Mensch-Maschine-Interaktionen. 2016 gründete die heutige Geschäftsführerin gemeinsam mit Kollegen das Londoner Unternehmen Humanising Autonomy. Davor studierte sie am Royal College of Art in London und Architektur an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.

In San Francisco gebe es zudem Diskussionen über Lieferroboter auf dem Bürgersteig. „Welche Konzepte sich in dieser Experimentierphase durchsetzen werden, kann man noch nicht vorhersagen“, erklärt Mankowsky. Er ist sich aber sicher: „Ein wesentlicher Erfolgsfaktor wird in der Fähigkeit zur Interaktion liegen, die dann zur echten Kooperation zwischen Mensch und Maschine führt.“

Das Team von Humanising Autonomy möchte ihre Technik in den nächsten Jahren in „so vielen Fahrzeugen wie möglich implementiert sehen“, sagt Pindeus. Ihre Technologie soll dabei alle Bevölkerungsschichten im Verkehr unterstützen und „Human Centered“ sein. Städte seien derzeit um das Auto herum gebaut. Pindeus sieht mit dem autonomen Fahren genau hier eine große Chance: „Künftig könnten sich somit Städte zur Gänze nach den Bedürfnissen der Menschen richten“.

Text: Manuela Tomic

Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2018 „Stadt – Land – Berg“ erschienen.

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